Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
zu fühlen.
Verdammter Mist, dachte ich. Verdammter, verdammter Mist. Da fühle ich mich als was Besseres und gehe mit dieser Hoteldirektorsgattin ins feinste Etablissement auf dem ganzen Schiff, tafele fünf oder sechs Gänge, trinke sieben Gläser Champagner, baggere mit irgendwelchen Schweizer Bänkern rum und vergesse völlig, warum ich hier bin: um zu singen! Ich habe einen Vertrag! Ich bin hier engagiert! Gleich am ersten Abend falle ich aus der Rolle! Was soll ich nur machen? Was zieh ich an?! Wo liegt meine Kabine?! Schaffe ich es noch, das lange Abendkleid anzuziehen? Oder singe ich die Carmen im Hosenanzug?
»Mareike! Hilf mir! Wo liegt meine Kabine?« Ich zeigte der Voraneilenden meinen goldenen Schlüssel.
»Deck acht, ganz hinten, am Heck! Das kannste vergessen!« Sie trabte weiter.
Wir klapperten die Treppen hinunter, vorbei an wunderschönen Gemälden von Prinzessinnen und deren Gemahlen, an Statuen vom Alten Fritz und hingegossenen Bronzejungfrauen, die uns sinnlos im Wege standen.
Mareike führte uns sicher in den wunderschön beleuchteten »Fürst-Rainier-Saal«. Auf der Bühne sang ein Tenor. Es war Anthony Dusseldorfer, der Amerikaner. Er war in einen glitzernden Anzug gewandet, und eine achtköpfige Bänd begleitete ihn kapriziös.
»Schade, klaine Frrau«, sang der Tenor und kniete vor einer rosaschillernden Ballettdame nieder, »isch hätte disch gelippt wie niemand zuvor auf där Wällt! Isch tu, was isch kann, doch du hast einen Mann, der sähr viel von Trräue hällt ...«
O Gott, dachte ich. Der ist leider gut. Warum muß ausgerechnet ICH danach dran sein?
»Wie komm ich auf die Bühne?«
Mareike stand inzwischen mit den Schweizer Bänkern heiter an der hinteren Bar. Man hatte schon wieder Champagner geordert.
Larry, der kleinwüchsige Tontechniker, hockte in seinem Regiekabuff, das glücklicherweise direkt neben der Bar lag. Er regelte das mit dem Licht und das mit dem Sound und das mit den Vorhängen und das mit der Technik. Er war entsetzt, mich zu dieser Stunde im Zuschauerraum zu sehen.
»Über Deck sieben!« zischte er panisch. Spucketröpfchen flogen durch das grelle Licht.
»Und wo bin ich hier??«
»Deck sechs, Menschenskind!!«
»Und wie komm ich ...«
»Über die Empore!!«
»Welche Empore??!!«
»Deck sibbe!«
»Schade, klaine Frrau, isch hätte disch gelippt wie niemand zuvor auf där Wäälllt!«
Mein Gott, die setzten zum Finale an!
»Da hinne die Treppe nuff un dann zur Eisentür naus un dann den Gang nunner bis zur Eisentür, wo druffsteht ›Staff only‹, also betrede verbode, und dann die Eisentreppen nunner, un dann biste hinner der Bühne!« zischte Larry. Er kam aus Saarbrügge, das konnte man höre.
Ich raste los. Zuerst die breitgeschwungene wunderschöne Treppe nuff. Oben saßen fröhlich angetrunken Rudolf und seine greiffreudigen Kegelbrüder und versuchten, mich im Vorbeirennen wie einen Schmetterling zu erhaschen.
»Wohin so eilig, schöne Frau?« wollte der wissen, der heute mittag in Plastiklatschen am Pool gehangen hatte.
»Dich krieg ich noch!« drohte Rudolf lachend, während er seine Videokamera auf mich hielt.
Der dritte griff einfach nach mir, aber er erwischte nur den Zipfel meines kleinkarierten Strenesse-Hosenanzugs.
Mein Gott, wie kann man nur in einem kleinkarierten Strenesse-Hosenanzug die Carmen singen!
Ich riß die schwere Eisentür auf und trappelte über den samtbezogenen Flur. Hier waren die Siebener-Kabinen. Immer noch die Top-Elite. »Doch du hast einen Mann, der nix dafür kann und sähr viel von Trräue hällt«, sang der Tenor zum letztenmal.
Ich dachte für den Bruchteil einer Sekunde an Rüdiger und seinen Bachchor in Geilenkirchen. Und seine Abiturklasse in Latein. Und daran, daß er als letztes gesagt hatte: »Ich bin mal sehr gespannt, ob du mir treu bleibst!« Ich hatte geantwortet: »Ich auch.«
Dann verstummte der Tenor. Beifall schwoll auf. Drunten im Saale unter dem zehn Tonnen schweren Kronleuchter saßen nun die Satten und Matten und klatschten müde in ihre Hände, und die Goldarmbänder schepperten. Klatscht weiter, Leute, dachte ich! Hört nicht auf!
Ich riß die schwere Eisentür auf, an der »Staff only« stand. Eiserne Treppen führten nach unten. Meine hochhackigen Pumps klapperten garstig auf den schmucklosen Stufen.
»Meine Damen und Herren«, hörte ich Fred Hahn ins Mikrophon sagen, »seit heute haben wir eine Sängerin an Bord, die Sie begeistern wird. Ihr Repertoire erstreckt sich
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