Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
Man klatschte.
So. Jetzt konnte doch der Kreuzfahrtdirektor mich anlächeln. Und sagen, wie gut ich war.
Abwartend blieb ich stehen.
»Nächste Nummer der Charlie Chaplin!« zischte er in sein Mikro. »Weißer Vorhang auf, roter Vorhang auf, Kulisse vier, kein Nebel, Charlie-CD, alles Vollplayback!!«
Ich fühlte mich überflüssig. Die mageren Tänzerinnen huschten eilig an mir vorbei.
»Vorsicht! Bitte die Gasse frei machen!«
»Larry!! Bist du wahnsinnig!! Leuchte das Kaninchen an! Und nicht den Ärmel vom Rudi!«
O.K., O.K., ich sah es ein. Hier und jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für ein Lob. Ich schlängelte mich an den anderen vorbei, dem Tenor, der »Schade, klaine Frrau« gesungen hatte, den Ballettratten, der Verhungerten, die wieder an dem Reck baumeln sollte und für diesen Zweck schon mal ihre Hände und Füße mit Kreide einrieb, der fetten Diseuse mit der angeklebten Locke über dem linken Auge, Lars-Dars im Frack und allen, allen Künstlern, die heute abend ein Stelldichein auf der Bühne gehabt hatten. O.K., Leute, das war’s. Ich gesell mich jetzt wieder zu meinen Schweizern. Die nehmen mich wenigstens zur Kenntnis.
Erhobenen Hauptes verließ ich die Stätte der Kunst.
Zwei Minuten später stand ich bereits wieder lässig mit den Bänkern an der Bar. Wie cool ich doch gewesen war! Voll der Profi, ich!! Sie nickten mir zu und wisperten auf Schwyzerdütsch, wie unglaublich geil ich doch gesungen hätte, und wie professionell ich doch gewirkt hätte in meinem Strenesse-Hosenanzug, dieweil ich die Carmen gesungen hätte, und der Kleine mit der runden Brille streichelte mir den Unterarm (höher kam er nicht) und reichte mir ein eiskaltes Glas Champagner, und der Dickliche mit der schlapp sitzenden Krawatte murmelte auch etwas Anerkennendes, dieweil vorne die Charlie-Chaplin-Nummer lief und die Leute gutartig klatschten. Dann kam noch Anna, die Kampfkünstlerin, die mehrere muskulöse Männer aus dem Ballett und aus dem Orchester mir nichts, dir nichts in die Eier trat und über die Schulter warf, und dann kam noch mal der schwule Tenor und sang: »Diese Klaine, die hat Baine!«, und wir lachten und klatschten und tranken Champagner, und ich dachte an Rüdiger und an Geilenkirchen und an den Kirchenchor und wie gut ich es doch hier hätte, zwischen Bali und Australien, mitten auf dem Stillen Ozean, und wie wunderbar doch alles sei, so easy und voll im grünen Bereich. Da trat wieder dieser Kreuzfahrtdirektor auf die Bühne und begann mit der Abmoderation:
»Auf dieser Reise haben sich heute Ihnen mit einer Kostprobe vorgestellt und sind für Sie dabei: ...« Und dann zählte er sie auf, die Haserln und die Spatzerln, die Tänzerinnen und Geräteturnerinnen, die Zauberer und die Kampfkünstler, die Blumenbinder und Verseaufsager und Lektoren und den Einhandsegler und die Reiseleiter und Sänger ...
Und alle Genannten sprangen gar artig hinter dem Vorhang hervor und verbeugten sich und wurden von der Bänd mit einem Trommelwirbel gewürdigt.
»Derr nännt gleich dir, odr«, sagte der phlegmatische Schweizer langsam.
Ich knallte mein Champagnerglas auf den Tresen und raste los. Über die breite Treppe mit den Statuen und nackerten Putten, auf die Empore, wo schon Rudolf und seine Kegelbrüder ihre Videokameras auf mich richteten und mich gierig am Ärmel zogen, durch die schwer aufgehende Eisentür, die hinter mir mit Krachen ins Schloß fiel, durch den langen Gang auf Deck sieben, wo die Kabinen schon von außen »Betreten verboten, hier sind nur die Schwerreichen drin!« signalisierten, bis zur schmucklosen Eisentür, »Staff only«, dann diese schauderhafte Klappertreppe runter, bis hinter den Vorhang, o Gott, dieser Nebel, man sieht ja nix, nur Requisiten und Garderobenfummel und Pappkartons und Perücken und Leute, die rumstehen und rauchen ...
»Unsere bezaubernde Sängerin ... Burkharda ... MEIER!«
Ich suchte das verdammte Loch im Vorhang. HerrrrGott!! Wieso ging dieses Ding nicht auf!!
Der Kreuzfahrtdirektor sah wohl die Beulen im edlen Stoff, nicht aber die Kammersängerin im Strenesse-Hosenanzug, und so erbarmte er sich und zog mich mit charmanter Geste hervor. Die Leute klatschten.
Ich verbeugte mich. Knallrot hinter meiner Schminke.
»Völlig professionell und auf allen Bühnen dieser Welt zu Hause«, sprach Fred Hahn in sein Mikrophon, und die Bänd spielte einen Tusch nach dem anderen, und wir marschierten winkend im Halbkreis herum, und schließlich nahm der
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