Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
schaffte es nicht mehr, Mutter, Ehefrau, Geliebte und Karrierefrau zu sein. Das, was in den Medien in den letzten Jahren immer mehr als erstrebenswertes Lebensbild für die Frau von heute propagiert wurde: Ich hatte es, und es kotzte mich an, weil es mich umbringen wollte.
Nach Jahren der Depression, in denen ich inmitten von leeren Rotweinflaschen – das volle Stück zu 1,99 € – und ausgedrückten Schmerzmittelpackungen zwischen meinem Dasein als gütiges Muttertier, befriedigende Gattin und Angestellte im 9-bis-5-Job plus x Überstunden hin und her schwankte, packte mich mein Selbsterhaltungstrieb. Ich reichte die Scheidung ein, um mich wenigstens von dem Ballast zu befreien, der mir in meiner Freizeit den allerletzten Nerv zu rauben drohte. In einem akuten Anfall von Erstickung suchte ich mir den erstbesten Anwalt, gab ihm den Auftrag, mich so schnell wie möglich von meinem Leben zu befreien, sonst würde ich es tun. An der örtlichen Talsperre. Landschaftlich wunderschön romantisch gelegen und somit für Vorhaben solcher Art äußerst prädestiniert. Diese Talsperre war in unserem Landstrich ein äußerst beliebter Ort für Ehefrauen, um ihrem traurigen Dasein ein Ende zu bereiten. Hoch genug, um garantiert lebensgefährliche Verletzungen davonzutragen. Steil genug, um etwaige Rettungsversuche von vornherein ad absurdum zu führen. Das gute Stück, das im Zweiten Weltkrieg Angriffen der Briten schutzlos ausgeliefert war und durch diverse Bombeneinschläge bereits viele Tote auf seinem Konto zu verzeichnen hatte, konnte beinahe jährlich eine weitere Kerbe in seine Mauer schlagen lassen.
Das war aber nicht das, was ich wollte. Ich wollte leben. Also verfrachtete ich Kinder, Hunde und Haus in die Scheidungsmasse und war bereit, meinen Beitrag zur Düsseldorfer Tabelle beizutragen. Kostspielig, aber ich wäre frei, und das so schnell wie möglich. Diese Variante – nämlich leben zu wollen – nahm mir obendrein die Möglichkeit, meinen Kindern das Leben zur Hölle zu machen. Denn ich war jetzt nicht mehr nur Mutter. Nein.
Jetzt war nicht mehr ich es, die ständig und überall auf alles und jeden Rücksicht nehmen musste, nur damit der familiäre Frieden in einigermaßen gelenkten Bahnen lief. Nein, nun saß ich auf der stillen Treppe und konnte die genauso stillen Augenblicke der ausgleichenden Gerechtigkeit genießen, während mein zukünftiger Ex-Gatte nun der Bösewicht schlechthin war, weil er sich mit der Erziehung unserer „Pubertiere“ rumschlagen musste und diese– wie jene Art es so gerne tat – gegen die Erziehung aufbegehrten.
Ich starb zwischendurch seelisch in meiner Einsamkeit. Ich litt wie ein Hund unter meiner Entscheidung, einen Schlussstrich gezogen zu haben. Aber ich atmete wieder. Frei und ungezwungen. Ich benötigte keine Schmerzmittel mehr, weil mir der Schädel zu platzen drohte. Meine Affinität zum Rotwein behielt ich bei, jedoch entwickelte sich diese zum absoluten Genuss. Ich war wieder ich. Ich war da.
Um es vorwegzusagen: Ich war nie dieses Muttertier, das vor Güte, Stolz und Hingabe zerfloss, wenn eines seiner Sprösslinge quer über den Tisch spie. Ich war nie das liebende Mutterherz, das sich wie eine Löwin zwischen die Kindergärtnerin und eine andere Mutter warf, nur damit der Sohn die Hauptrolle als Oberzwerg bekam und eben nicht den undankbaren Part als lebende Pflanze – Stellplatz Vierter von links –, den er sich auch noch undankenswerterweise mit seiner größeren Schwester teilen musste, die dann im Übereifer der schauspielerischen Darstellung Regieanweisungen in die Richtung des jüngeren Bruders schickte, die einen Rainer Maria Fassbinder in ihrer Effektivität vor Neid hätten erblassen lassen. Dass dieses Kind seine Regieanweisungen auch im realen Leben lautstark durchzusetzen wusste, war für die Umwelt zu diesem Zeitpunkt extrem niedlich. Aber auch nur für diese.
Dass die Mutter dieser Ausgeburt an Theatralik diesen einen speziellen genetischen Fehler nicht auf sich nahm und bei Rückfragen, woher das Kind diese Charaktereigenschaft wohl haben möge, diese stets mit einem Schielen in Richtung des männlichen Teils der Erziehungsgewalt beantwortete, wurde für gewöhnlich auf der charakterlichen Soll-Seite des Muttertiers vermerkt.
Jedoch ist und war – wie ich auf das stärkste betonen möchte – der männliche Teil der Erziehung der lebende Beweis für den real existierenden Pazifismus. Also musste diese Fehlbildung eine Generation
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