Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
einfach nur wütend. Wütend darüber, dass die Frucht meines Schoßes, trotz durchaus positiver, fremdbestätigter Erziehungserfolge, nicht in der Lage zu sein schien, mich und mein Leben zu respektieren. Es machte mich blind vor Wut zu sehen, wie das Ergebnis vierstündiger Bügelarbeit einfach ignoriert wurde und den Kreislauf Wäschekorb – Waschmaschine – Trockner – Bügelbrett – Kinderzimmerfußboden – Wäschekorb niemals dahingehend verließ, dass es auch einmal angezogen wurde. Es trieb mich auf die Palme, wenn der Versuch, die heimische Speisekarte anzuhübschen, mit hämischen Kommentaren versehen und obendrein auch noch verschmäht wurde.
Manche mögen sich jetzt zurücklehnen und behaupten, dass mein Geburtsfehler, nämlich die Tatsache, dass ich Einzelkind bin, durchschlug. Aber all diesen Schmalspurtherapeuten und selbstberufenen Psychologen (ohne Wochenendkurs) sowie den Kurpfuschern einer gewissen Küchenpsychologie sei gesagt: Niemand hat es schwerer, erwachsen zu werden, als ein Einzelkind. Es muss alles allein machen, denn da ist kein großes – oder kleines – Geschwisterkind, auf das man mal eben den Stromausfall aufgrund technischen Forschungsdranges schieben kann, oder – was noch besser ist – das die Kämpfe mit den Eltern für einen austrägt. (Was natürlich der bessere Fall einer Konfliktsituation ist. Zumindest für einen Part davon.)
Ein Einzelkind hat diesen Luxus nicht. Der Vorwurf, dass ein Einzelkind nicht konfliktfähig ist, ist so ziemlich die größte Idiotie, welche die Psychologie hervorgebracht hat. Aber für irgendwas müssen diese armen Geschöpfe ja herhalten, und wenn es nur darum geht, von Beflissenen mit oder ohne Titel verwurstet und als lebensunfähig hingestellt zu werden. Dabei war der Stempel Egoist noch der sympathischste. Und was noch viel schlimmer ist: Millionen Erstgeborener werden zu Geschwisterkindern verdonnert, weil ihnen sonst ein Makel lebenslänglich anhängen würde.
Ja, ich war verwöhnt. Meine beiden Teufel samt Ehegatte waren es aber auch. Und sind es heute noch. Wirft ihnen das jemand vor? Nein. Warum auch? Heute hatte ich jedoch die Gelegenheit, mich umzudrehen, ihnen einen schönen Tag zu wünschen und ihre Konfliktfähigkeit hart auf die Probe zu stellen. Dass dies meist mit knallenden Türen, heulenden Teenagern und einem vollkommen entnervten Vater anheimging … nun … die Evolution forderte schon immer ihre Opfer. Und ja … ich hatte Mitleid mit ihm. Schließlich hatte ich das jahrelang durchgemacht und wusste, dass der liebe Gott einem nur einen Satz Nerven pro Kind und Pubertät mitgegeben hatte und dass dieser Satz bereits nach den ersten Anzeichen hormoneller Veränderungen des einst so lieben und reizenden Kindes in seinem Bestand arg strapaziert wurde.
Ich wage zu behaupten, dass ich die ersten fünfzehn Lebensjahre meiner Kinder eine wirklich gute Mutter war. Sie bekamen die Liebe, die sie brauchten, um sich entfalten zu können. Sie bekamen die Fürsorge, die sie gedeihen ließ. Sie bekamen die Erziehung, die sie zu wertvollen Mitgliedern dieser Gesellschaft machen sollte. Meine Kinder waren höflich, konnten bitte und danke sagen, hielten älteren Mitbürgern die Türen auf, bückten sich, wenn besagten älteren Herrschaften etwas herunterfiel. Und das ohne Aufforderung meinerseits. Mein Sohn verbeugt sich heute noch bei der Begrüßung von Damen, meine Tochter macht immer noch einen leichten Knicks. Gut: etwas altmodisch, aber das war Teil meiner Erziehung, dass sie dem zu Begrüßenden Respekt entgegenbrachten. Dass sie im Laufe ihrer Pubertät diesen Respekt mir gegenüber vermissen ließen, stand auf einem anderen Blatt.
Und ja: Es sei ihnen verziehen, und ich werde sie nicht aus dem Grab heraus verfolgen, sobald sie selbst einmal hormongesteuerte Kinder haben werden, so wie meine Mutter es immer noch tut. Eine andere Geschichte, vielleicht eine Fortsetzung.
Und irgendwann kam dann dieser Tag, an welchem ich mich fragte, ob das je besser werden würde. Was würde mich erwarten, wenn dieses kleine Volk, dem ich all meine Nerven und meine Liebe geschenkt hatte, die Koffer packen würde und sich den Herausforderungen der großen weiten Welt vor unserer heimischen – und noch schützenden – Tür stellen wollte? Was würde dann aus mir?
Die Antwort war so einfach wie schmerzlich: Ich würde dann immer noch hier sitzen und versuchen, etwas darzustellen, was ich nicht war. Denn immer noch würde ich dagegen
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