Mord an der Mauer
mit den Umständen des Todes von Fechter zu tun hat. Sein qualvoll langes Sterben unter den Augen der hilflosen Berliner Bevölkerung lässt die Unmenschlichkeit des Grenzregimes und der DDR-Machthaber, die es haben installieren lassen, so klar wie bei keinem anderen Fall hervortreten.
Einen Monat nach Fechters Tod wird sein Mahnmal von offizieller Seite plötzlich infrage gestellt. Die Demonstrationen und Ausschreitungen wecken bei Politikern Zweifel, ob es ratsam sei, wenige Meter vor der Mauer auf Dauer einen solchen Unruheherd zu dulden. Die hintere Begrenzung des Fechter-Mahnmals berührt DDR-Territorium, und wenn West-Berliner Polizei die Mauer vor erregten Bürgern schützen muss, ist das ein gefundenes Fressen für die SED-Propaganda. Gut vier Wochen nach der gescheiterten Flucht berät die Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung daher, ob man eine zentrale Stätte der Erinnerung errichten solle – im Viktoriapark, weitab von der Mauer. In den Ehrenhain auf dem Kreuzberg könnten auch ein Mahnmal für die Opfer des Volksaufstandes in der DDR am 17. Juni 1953 integriert und die Namen aller Maueropfer in Stein gehauen werden. Bezirksbürgermeister Willy Kressmann begründet die Idee: So begrüßenswert spontane Aktionen an den Orten der Morde auch seien, wäre es doch nicht gut, die Mauer mit Bäumen zu bepflanzen und mit Kreuzen zu säumen: »Sie soll weiter in ihrer brutalen Nüchternheit anklagen.« Ende September liegen dem Bezirksparlament die ersten Entwürfe vor, die ein junger, aus Dresden geflüchteter Bildhauer gestaltet hat. Wenig später bildet das Bezirksamt eine Kommission, der auch ein Vertreter des Axel Springer Verlags angehört. Diskutiert wird ein sechs Meter hohes Kreuz für die Opfer des 17. Juni sowie ein vier Meter breites Mahnmal aus Muschelkalk für die Opfer der Mauer, speziell für Peter Fechter. Dargestellt ist eine hinter der Mauer in die Höhe gereckte Hand, die von einer anderen ergriffen wird. Zeitungen berichten über Spenden aus der Bevölkerung. Wochenlang wartet die Öffentlichkeit auf eine Entscheidung des Bezirksparlaments, realisiert wird schließlich nur das Denkmal für den Volksaufstand.
So bleibt das Mahnmal für Fechter zwischen Charlotten- und Markgrafenstraße erster Anlaufpunkt für Politiker, Delegationen aus dem In- und Ausland, Touristen und Bürger. Viele sind neugierig und wollen sich selbst ein Bild von den Örtlichkeiten machen. Die meisten jedoch wollen ihrer Betroffenheit Ausdruck verleihen. Dennoch wird es erst auf Druck der Öffentlichkeit hin zu einem dauerhaft würdigen Ort gestaltet. Als im November 1962 West-Berliner zum Volkstrauertag Blumen und Kränze niederlegen, finden sie das Mahnmal in einem beklagenswerten Zustand vor. Das Kreuz wirkt angegammelt, das schwarze Totentuch am Pfahl ist nichts mehr als ein zerrissener Lappen, die im Boden als behelfsmäßige Blumenvasen eingegrabenen Blechbüchsen und Gurkeneimer sind verrostet. Um die verwelkten Kränze und Blumen kümmert sich augenscheinlich niemand. Bürger beschweren sich beim Senat und in Zeitungen über die vernachlässigte Stätte. »Keine Hand regt sich, um dieses Grab – denn das ist diese Stätte an der Mauer geworden – für das Totenfest zu bereiten«, kritisiert Die Welt . Offenbar sind sich Senat und Bezirksamt uneins, wer für die Pflege zuständig ist.
Immerhin reagieren sie auf die Kritik. Wenige Tage nach den Beschwerden rückt ein Bautrupp an. Die provisorischen Eimer werden durch echte Vasen ersetzt, das Kreuz erfährt eine Reinigung, das schwarze Trauertuch und die Seilumspannung werden ersetzt und Tannengrün auf den Boden gelegt. Die beauftragte Firma befestigt auch den Zugangsweg, um das Gelände soll sich künftig das Kreuzberger Gartenbauamt kümmern. Die öffentliche Hand kostet das zunächst keinen Pfennig, die anfallenden Kosten von etwa 1500 Mark werden mit den Spenden beglichen, die Dieter Beilig und andere gesammelt haben. Für ihren Einsatz müssen sich die Jugendlichen fast noch vor Gericht verantworten – wegen Verstoßes gegen das Sammlungsgesetz. Allerdings wird das Strafverfahren auf Vorschlag der Polizei wegen »Geringfügigkeit« eingestellt und das Geld, insgesamt rund 3500 Mark, dem Bezirksamt Kreuzberg überlassen.
Damit will sich Dieter Beilig nicht abfinden. Anfang 1963 plant er die Gründung einer Peter-Fechter-Memorial-Bewegung, nachdem er von einem Hilfswerk Peter Fechter in Westdeutschland gelesen hat, das Flüchtlingen aus der DDR
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