Mord an der Mauer
zu helfen verspricht. Beilig möchte die Obhut für »sein« Mahnmal übernehmen und öffentliches Gedenken an den Toten organisieren; dafür könnte er das gesammelte Geld gut gebrauchen. Tatsächlich erhält Beilig im Juli 1963 die Zulassung für seine Bewegung – ein Journalist hatte ihm beim Formulieren der Satzung geholfen. Eine Ausstellung über Fechter und das DDR-Grenzregime hingegen scheitert ebenso kläglich wie die Organisation einer Demonstration im August 1963 zum zweiten Jahrestag des Mauerbaus. Die Behörden entziehen ihm die Zulassung. Sie halten Dieter Beilig, der aus schwierigen familiären Verhältnissen stammt, nach Anerkennung strebt und schon wegen seiner Rauchbombenanschläge verwarnt worden ist, für suspekt.
Den Namen Peter Fechter benutzen auch andere, allerdings wirklich fragwürdige Gruppierungen. In der Nacht zum 17. Juni 1963, dem zehnten Jahrestag des Volksaufstandes, explodiert am DDR-Außenministerium ein Sprengsatz, weitere Bomben am Roten Rathaus und am Gebäude des Generalstaatsanwalts werden rechtzeitig entschärft. Einen Tag später schickt eine »Widerstandsgruppe Peter Fechter Ost – I. A. Solidaritätsgruppe Peter Fechter West« ein Bekennerschreiben an die Bild -Zeitung. Während im Westen der Verdacht aufkommt, die DDR-Staatssicherheit könnte die Anschläge selbst initiiert haben, lastet das SED-Regime die Aktion »revanchistischen Banditen« an, die aus West-Berlin eingedrungen seien. Diesen Verdacht greift die Stasi auf: Am 20. Juni schlägt die Hauptabteilung V/2 vor, eine fiktive Widerstandsgruppe um den zuverlässigen IM »Otto« zu gründen. Sie soll die echten Attentäter anlocken, die, so die Logik des MfS, Unterstützer in der DDR haben müssen – schließlich haben als Zeitzünder der Sprengsätze Wecker aus ostdeutscher Produktion fungiert.
Einen tatsächlichen Bezug zu Peter Fechter hat im Frühjahr 1963 das Urteil gegen den Westdeutschen Heinz Grimm, der im April wegen seiner Fotos auf Fechters Beerdigung in Ost-Berlin mit drei Jahren Gefängnis bestraft wird. Die Urteilsbegründung: Grimm habe Nachrichten für westliche Stellen gesammelt.
Erst fast ein Jahr nach der Flucht knüpft Helmut Kulbeik wieder engeren Kontakt zu Gleichaltrigen. In der Kneipe »Togo-Eck« lernt er eine Clique kennen, der auch Susanne Schirmer angehört. Ihr gefällt seine Freundlichkeit, der 19-Jährige ist gesellig und humorvoll, bald schätzt sie auch seine Verlässlichkeit. Außerdem sieht Helmut mit seinen schwarzen Haaren attraktiv aus. Sie besorgt ihm ein Zimmer zur Untermiete, damit er aus der kleinen Wohnung seiner Großmutter ausziehen kann. Seine neuen Freunde wissen, dass Kulbeik aus dem Osten geflohen ist. Er hat erzählt, es sei eine spontane Entscheidung, fast eine Schnapsidee von Peter Fechter und ihm gewesen. Mehr aber berichtet er nicht, und die jungen Leute haben anderes im Kopf, als ihn nach Details zu fragen. Dass er seine Eltern und seine Schwester vermisst, können sie nachvollziehen und glauben trotzdem, dass er doch froh über die geglückte Flucht ist und unbelastet an die Zukunft denken will.
Als der erste Todestag Fechters näher rückt, stellt sich die Frage, ob und wie er begangen werden soll. Der Senat will eine Wiederholung der heftigen Proteste und unkalkulierbaren Übergriffe vermeiden und lädt Berliner Organisationen am 16. Juli 1963 zur gemeinsamen Beratung ein. Innensenator Albertz gibt die Richtung vor: Der Senat wolle still gedenken. Es sei keine Kundgebung beabsichtigt, weil kein verantwortungsbewusster Politiker eine glaubwürdige Rede halten könne. Niemand fragt nach, was Albertz genau meint – offenbar leuchtet sein Argument jedem ein, Kundgebungen gerieten erfahrungsgemäß zum Ausgangspunkt von Demonstrationen. Möglich seien jedoch Kranzniederlegungen durch öffentliche Vertreter, Ehrenwachen der Jugend und der Polizei an den Gedenkstätten – allerdings nur bis zum Einbruch der Dunkelheit. Auch »angemessenes Gedenken durch Rundfunk und Fernsehen« zählt Albertz auf und regt an, die West-Berliner aufzufordern, Briefe an Angehörige im »Ostsektor« und in der »Zone« zu schreiben. Die Polizei werde Proteste unter Kontrolle bringen und Demonstranten auf jeden Fall von der Mauer fernhalten. Ein Vertreter der SPD gibt zu bedenken, der West-Berliner Bevölkerung müsse plausibel erklärt werden, warum auf eine offizielle Kundgebung verzichtet werde. Übereinstimmung gibt es am Ende nur darin, »maßvoll« zu gedenken.
Kurz
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