Mord au chocolat
vielleicht nicht eure, weil ihr noch studiert. Aber für so was werdet ihr eines Tages Steuern zahlen – für die Verfolgung von Personen, die das Leben der Armen und Unterdrückten einfach nur erträglicher machen wollen. Dass ich an dem Verbrechen, das man mir anlastet, völlig unschuldig bin, spielt keine Rolle. Auch nicht, dass ich die Arbeitsbedingungen der Werkstudenten und unserer Tutoren verbessern will, die wie Sklaven behandelt werden...«
»Was...« Dr. Jessup, das bunte Halstuch von der Beratungsstelle für die Kids in den Studentenwohnheimen um den Hals, steigt aus dem Lift, gefolgt von den Dres. Flynn und Kilgore und so vielen Mitgliedern der Housing-Abteilung, wie es die Kapazität der Kabine erlaubt. »Was ist denn hier los?«
Wer den Schrei ausgestoßen hat, wird offensichtlich, als Sarah hinter Detective Canavan hervorspäht und mich entdeckt. »HEATHER!«, kreischt sie, taumelt zu mir und wirft sich in meine Arme, das Gesicht voller Tränen, das Kraushaar chaotischer denn je. »Die verhaften Sebastian. Wegen des Mordes! Das müssen Sie verhindern! Er hat es nicht getan, er kann es nicht getan haben! Er hält doch gar nichts von Morden! Weil er Vegetarier ist!«
Lassen Sie mich eins sagen. Manchmal ist sie eine Nervensäge, aber sie arbeitet hart, hat ein gutes Herz, und meistens ist sie ein liebes Mädchen. Nur etwas ist sie nicht, nämlich leicht. Mit ihrem ganzen Gewicht lehnt sie an mir, und ich breche fast zusammen.
Dem Himmel sei Dank für Pete, der hinter dem Schreibtisch der Sicherheitsbeamten hervoreilt. »Okay, Sarah, setzen Sie sich da drüben hin, wir bringen Ihnen ein Glas Wasser. Wie wär’s mit gutem, kaltem, frischem Wasser?«
»Nein, ich will kein Wasser!«, schluchzt sie und presst ihr Gesicht an meine Brust. Weil ihr Haar in meine Augen fliegt, sehe ich nicht, was in der Halle passiert. »Ich will Gerechtigkeit!«, jammert sie.
»Okay, die kriegen Sie auch.« Wie aus dem Nichts taucht Magda auf. »Vielleicht haben wir so was in der Tiefkühltruhe.« Mit Petes Hilfe zieht sie Sarah von mir weg. Plötzlich sehe ich, dass die Cops ihren Gefangenen erfolgreich aus dem Haus entfernt haben. Nur der Detective steht noch da. Leise spricht er mit den Dres. Jessup, Flynn und Kilgore. Auch Muffy Fowler ist da, hat aber nur Augen für Reverend Mark. Anscheinend hat er einige seiner studentischen Brüder oder womöglich Wähler gefunden. Mit denen scherzt er jovial, während Muffy so tut, als verstünde sie, wovon er redet, und perlend lacht.
Gavin steht neben mir. Durchdringend starrt er mich an und zeigt vielsagend in die Richtung des Lifts. Jamie, formen seine Lippen.
Moment mal, formen meine, und mein Kinn deutet auf Sarah. Eigentlich müsste er merken, dass ich mich nicht mit zwei Krisen gleichzeitig befassen kann. Bin ich etwa die Supermanagerin der Fischer Hall?
Pete, Magda und ich führen Sarah in die Cafeteria, drücken sie auf einen blauen Vinylstuhl und bringen ihr ein Glas Wasser, das sie erst nach langem gutem Zureden trinkt. Zwischen dem Lunch und dem Dinner ist die Cafeteria geschlossen, weil das Reinigungspersonal hier arbeiten muss. Also müssen wir nicht fürchten, jemand könnte uns beobachten – für Sarah ein Vorteil, denn sie sieht nicht allzu gut aus, ihr Gesicht ist rot und geschwollen. An ihrer Stirn und den Schläfen klebt feuchtes, schwarzes Kraushaar.
»Oh, es war so schrecklich«, murmelt sie. »Wir waren in der Abstellkammer. Da saßen wir einfach nur und kümmerten uns um unseren eigenen Kram, weil die Spurensuche immer noch im Büro herumhing, Heather. Plötzlich kam Detective Canavan rein und sagte, er müsste mit Sebastian reden. Der fand das okay, weil er nichts zu verbergen hat. Und eine Minute später legten sie ihm Handschellen an... O Heather, sie haben ihn fest-genommen! Was sollen wir denn machen. Ich muss seine Eltern anrufen, jemand muss seine Eltern anrufen!« »Ja, wir rufen seine Eltern an«, verspreche ich und hoffe, meine Stimme klingt halbwegs besänftigend. Ich versuche, ihr die schwarzen Locken aus der Stirn zu streichen, ohne Erfolg, weil sie so stark schwitzt, klebt das Haar wie Kleister an ihrer Haut. »Aber er kann sie sicher selbst anrufen.«
»Klar«, bestätigt Magda, »alle Gefangenen haben ein Recht auf ein Telefongespräch, nicht wahr?« Mit dieser Frage löst sie einen neuen Tränenstrom aus, und ich werfe ihr über Sarahs Kopf hinweg einen vernichtenden Blick zu. »So ist es doch«, verteidigt sie sich. »Als mein
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