Mord auf der Leviathan
Spa gefahren und hielt sich zu Hause auf. Als er Glas klirren hörte, kam er in den Saal, wo er auf das barbarischste umgebracht wurde. Dieser Mord war nicht geplant, und der Verbrecher verlor seine teuflische Kaltblütigkeit. Wahrscheinlich hatte er möglichst viele Exponate mitnehmen wollen, um die Aufmerksamkeit nicht auf das verhängnisvolle Tuch zu lenken, doch jetzt mußte er sich beeilen. Vielleicht hat der Lord vor seinem Tode ja auch geschrien, und der Mörder befürchtete, man könnte die Schreie auf der Straße hören. Ob so oder anders, er nahm den für ihn unnötigen goldenen Schiwa und suchte das Weite, ohne zu bemerken, daß in der Hand des Toten das goldene Abzeichen der ›Leviathan‹ zurückblieb. Um die Untersuchung in die Irre zu führen, stieg Aono auf seinem Rückweg durch das Fenster der Orangerie … Doch halt!« Coche griff sich an die Stirn. »Daß ich nicht eher darauf gekommen bin! Er konnte ja gar nicht auf demselben Weg zurück, wenn der Lord geschrien hatte! Vielleicht waren draußen schon Passanten zusammengelaufen? Darum schlug Aono ein Fenster der Orangerie heraus, sprang in den Garten und kletterte über den Zaun. Doch die Vorsicht war überflüssig, die Rue de Grenelle war zu dieser späten Stunde menschenleer. Selbst wenn der Lord geschrien hatte, niemand hatte es gehört.«
Die empfindsame Madame Kleber schluchzte auf. Mrs. Truffo hörte sich die Übersetzung an und schneuzte sich gefühlvoll.
Beweiskräftig, anschaulich, unstrittig, dachte Coche. Die Beweise und die Mutmaßungen der Untersuchung ergänzten sich bestens. Doch das, meine Lieben, ist noch nicht alles, was der alte Coche für euch in Reserve hat.
»Es ist nun an der Zeit, daß wir zur Ermordung Professor Sweetchilds kommen. Der Beschuldigte hat mit Recht gesagt, theoretisch hätten das außer ihm noch sechs Personen tun können. Gemach, gemach, meine Damen und Herren!« Der Kommissar hob beschwichtigend die Hand. »Ich werde jetzt beweisen, daß nicht Sie den Professor getötet haben, sondern daß es niemand anders war als unser schlitzäugiger Freund.«
Der Japaner war wie versteinert. Schlief er vielleicht? Oder betete er zu seinem japanischen Gott? Aber ob du betest oder nicht, du mußt dich doch auf die alte Schlampe, die Guillotine, legen.
Plötzlich kam dem Kommissar ein höchst unangenehmer Gedanke. Und wenn sich nun die Engländer den Japaner wegen der Ermordung Sweetchilds schnappten? Der war doch britischer Untertan gewesen! Dann würde der Verbrecher vor ein englisches Gericht gestellt, und statt auf die französische Guillotine käme er an den britischen Galgen. Nur das nicht! Wem nützte eine Gerichtsverhandlung im Ausland? Das »Verbrechen des Jahrhunderts« mußte im Justizpalast verhandelt werden und sonst nirgends! Was zählte es schon, daß Sweetchild auf einem englischen Schiff ermordet wurde. In Paris hatte es zehn Leichen gegeben und hier nur eine, überdies war das Schiff nicht ausschließlich britisches Eigentum, denn im Konsortium waren beide Länder vertreten!
Coche regte sich so auf, daß seine Gedanken sich verwirrten. Nein, Pustekuchen, sagte er im stillen, meinen Kunden kriegt ihr nicht. Gleich bin ich mit dem Theater hier fertig, dann geh ich zum französischen Konsul. Ich selbst werde den Mörder nach Frankreich bringen. Und er malte sich aus: Das Schiff legt in Le Havre an, Himmel und Menschen, Polizeioffiziere, Journalisten …
Er mußte die Sache zu Ende bringen.
»Inspektor Jackson wird jetzt über die Ergebnisse der Durchsuchung berichten, die er in der Kabine des Beschuldigten vorgenommen hat.«
Der Inspektor wollte trocken und sachlich auf englisch losrattern, doch der Kommissar unterbrach ihn.
»Die Untersuchung wird von der französischen Polizei durchgeführt«, sagte er streng. »Die offizielle Sprache der Ermittlung ist Französisch. Außerdem wird Ihre Sprache hier nicht von allen verstanden, Monsieur. Ich bin nicht sicher, daß der Beschuldigte Englisch versteht. Sie werden zugeben, daß er das Recht hat, die Ergebnisse Ihrer Durchsuchung zu erfahren.«
Dieser Protest war von prinzipieller Bedeutung – die Engländer mußten von Anfang an in ihre Schranken gewiesen werden. Sie sollten wissen, daß sie hier nicht die erste Geige spielten.
Als Dolmetscher erbot sich Regnier. Er stellte sich neben den Inspektor und übersetzte Satz für Satz, doch er schmückte die kurzen abgehackten Äußerungen des Engländers mit dramatischer Intonation und ausdrucksstarken
Weitere Kostenlose Bücher