Mord auf der Leviathan
Gesten aus.
»Entsprechend der Instruktion wurde die Kabine Nr. 24 durchsucht. Der Name des Passagiers: Gintaro Aono. Die Kabine ist rechteckig und 200 Quadratfuß groß. Sie wurde in 20 horizontale und 44 vertikale Quadrate aufgeteilt.« Regnier fragte zurück und erklärte dann: »Die Wände werden auch in Quadrate aufgeteilt, denn sie müssen nach Geheimfächern abgeklopft werden. Ob solche freilich in einer Schiffskabine vorstellbar sind … Die Durchsuchung erfolgte zunächst in der Vertikale, dann in der Horizontale. In den Wänden wurde kein Geheimfach gefunden.« Regnier breitete vielsagend die Arme aus – wer hätte das gedacht? »Bei der Untersuchung der horizontalen Ebene wurden folgende Gegenstände gefunden und der Akte beigefügt: erstens Aufzeichnungen in Hieroglyphenschrift, die sollen übersetzt und studiert werden. Zweitens ein langer, sehr scharfer Dolch von orientalischem Aussehen. Drittens ein Sack mit elf ägyptischen Kürbissen. Viertens unterm Bett Stücke eines zerschlagenen Kürbis. Und endlich fünftens eine Arzttasche mit chirurgischen Instrumenten. Ein großes Skalpell fehlt.«
Die Zuhörer ächzten auf. Der Japaner öffnete die Augen und warf einen kurzen Blick auf den Kommissar, sagte aber wieder nichts.
Gleich gesteht er, dachte Coche, doch er irrte. Der Asiat, ohne von seinem Stuhl aufzustehen, drehte sich jäh zu dem hinter ihm stehenden Inspektor um und schlug ihn von unten kraftvoll gegen die Hand, die den Revolver hielt. Während die Waffe in einem malerischen Bogen durch die Luft flog, war der flinke Japaner schon an der Tür, riß sie auf – und lief mit der Brust gegen zwei Colts: Im Korridor standen Polizisten. Im nächsten Moment beendete der Revolver des Inspektors seine Flugbahn, krachte auf den Tisch, und es gab einen ohrenbetäubenden Knall. Geläut, Gekreisch, Pulverqualm.
Coche taxierte schnell die Situation: Der Arrestant wich zurück zum Stuhl, Mrs. Truffo lag in Ohnmacht, andere Opfer waren nicht zu sehen, der Big Ben hatte unterhalb des Zifferblatts ein Loch, und die Zeiger standen still, dennoch läutete er. Die Damen kreischten. Aber die Situation war unter Kontrolle.
Als der Japaner wieder auf seinem Stuhl saß, sicherheitshalber mit Handschellen gefesselt, als die Arztfrau ins Leben zurückgeholt war und alle Platz genommen hatten, lächelte der Kommissar und sagte, mit seiner Kaltblütigkeit kokettierend: »Soeben, meine Herren Geschworenen, haben Sie einem aufrichtigen Geständnis beigewohnt, das freilich in nicht ganz gewöhnlicher Form gemacht wurde.«
Er hatte sich mit den »Geschworenen« wieder versprochen, doch er korrigierte sich nicht, es war eben eine Probe.
»Es war der letzte Beweis, und einen direkteren kann es nicht geben«, schloß Coche zufrieden. »Und Ihnen, Jackson, muß ich einen Tadel aussprechen. Ich hatte Sie gewarnt, daß der Mann gefährlich ist.«
Der Inspektor war krebsrot. Das hatte er verdient.
Aber alles lief vorzüglich. Der Japaner saß vor drei Pistolenmündungen, die gefesselten Hände an die Brust gedrückt. Seine Augen waren wieder geschlossen.
»Das wär’s, Inspektor. Sie können ihn mitnehmen. Soll er einstweilen bei Ihnen im Kittchen sitzen. Später, wenn die Formalitäten erledigt sind, nehme ich ihn mit nach Frankreich. Meine Damen und Herren, leben Sie wohl. Der alte Coche geht an Land. Ihnen noch eine glückliche Reise.«
»Ich fürchte, Kommissar, Sie werden mit uns w-weiterfahren müssen«, sagte der Russe in ganz alltäglichem Ton.
Coche glaubte, sich verhört zu haben.
»Hä?«
»Herr Aono ist gänzlich unschuldig, so daß die U-untersuchung weitergehen muß.«
Coche machte ein überaus dummes Gesicht: die Augen quollen hervor, die Wangen liefen rot an.
Der Russe, ohne die Explosion abzuwarten, sagte mit wahrhaft unnachahmlicher Selbstsicherheit: »Herr Kapitän, auf dem Sch-schiff haben Sie die oberste Gewalt. Der Kommissar hat uns soeben die Imitation einer gerichtlichen Untersuchung vorgespielt, wobei er die Rolle des Staatsanwalts übernahm und sie sehr überzeugend vortrug. Aber vor einem zivilisierten Gericht erhält nach dem Ankläger der V-verteidiger das Wort. Wenn Sie gestatten, möchte ich diese Mission übernehmen.«
»Wozu Zeit verlieren?« fragte der Kapitän verwundert. »Ich finde, es ist auch so alles klar. Der Herr Polizist hat alles sehr gut erklärt.«
»Einen Passagier an Land zu setzen ist eine höchst e-ernste Angelegenheit. Letzten Endes fällt die ganze Verantwortung
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