Mord auf der Leviathan
unhöflich. »Weil ihr Hotel in derselben Straße lag, in der so viele Menschen ermordet wurden? Aus Angst, der Verdacht könnte auf sie fallen?«
»Nein«, sagte Coche auflachend. »Der Grund ist ein anderer. Mademoiselle, plötzlich reich geworden, tat, was jede Frau an ihrer Stelle getan hätte – sie fuhr nach Paris, in die Hauptstadt der Welt, um die Pariser Sehenswürdigkeiten zu betrachten, sich nach der letzten Mode zu kleiden und … romantische Abenteuer zu erleben.«
Die Engländerin preßte nervös ihre Finger und blickte flehend, aber Coche war nicht mehr zu bremsen – ich werde Ihnen schon zeigen, verflixte Milady, was es heißt, über einen Kommissar der Pariser Polizei die Nase zu rümpfen.
»Und Madame Stomp bekam reichlich Romantik zu kosten. Im Hotel ›Ambassadeur‹ lernte sie einen unwahrscheinlich gutaussehenden und umgänglichen Kavalier kennen, der in der Verbrecherkartei unter dem Spitznamen ›Vampir‹ geführt wurde. Ein bekannter Schwindler, spezialisiert auf nicht mehr junge reiche Ausländerinnen. Die Leidenschaft flammte im Nu auf wie immer bei ›Vampir‹ und endete ohne Vorwarnung. Eines Morgens, um genau zu sein, am 13. März, erwachten Sie, Madame, in Einsamkeit und erkannten das Hotelzimmer nicht wieder – es war leer. Ihr Herzensfreund hatte alles mitgenommen, bis auf die Möbel. Man schickte mir die Liste der Ihnen geraubten Gegenstände.« Der Kommissar blickte in seine Mappe. »Unter der Nummer 38 steht ›eine Goldbrosche in Form eines Wals‹. Als ich das alles las, verstand ich, warum Madame Stomp sich nicht gern an Paris erinnert.«
Das unglückliche Dummchen konnte einem leid tun – sie hielt die Hände vors Gesicht, ihre Schultern zuckten.
»Madame Kleber habe ich nicht ernsthaft verdächtigt«, ging Coche zum nächsten Punkt der Tagesordnung über. »Obwohl sie für das Fehlen des Abzeichens keine vernünftige Erklärung hatte.«
»Und walum haben Sie meine Mitteilung ignolielt?« fragte der Japaner plötzlich. »Ich habe Ihnen doch etwas sehl Wichtiges elzählt.«
»Ignoriert?« Der Kommissar wandte sich heftig dem Sprecher zu. »Keineswegs. Ich habe mit Madame Kleber gesprochen, und sie hat mir erschöpfende Auskunft gegeben. Das erste Stadium der Schwangerschaft hat ihr so zu schaffen gemacht, daß der Arzt ihr Schmerzmittel verschrieben hat. Die schmerzhaften Zustände hörten danach auf, aber die Ärmste hatte sich schon an das Präparat gewöhnt und nahm es zur Beruhigung und als Schlafmittel. Die Dosis wurde immer größer, und schon hatte sich eine verhängnisvolle Abhängigkeit herausgebildet. Ich habe väterlich mit Madame Kleber gesprochen, und sie hat in meiner Gegenwart das Zeug über Bord geworfen.« Coche blickte Renate gespielt streng an, und sie schob kindlich die Unterlippe vor. »Meine Liebe, Sie haben dem alten Coche Ihr Ehrenwort gegeben.«
Renate senkte den Blick und nickte.
»Ah, welch rührendes Feingefühl für Madame Kleber!« explodierte Clarissa. »Mich braucht man wohl nicht zu schonen, Herr Detektiv? Mich kann man zum Gespött machen, ja?«
Aber Coche hatte jetzt keinen Sinn für sie, er sah den Japaner an, und sein Blick war schwer, haftend. Der kluge Jackson begriff ohne Worte, daß es Zeit war. Seine Hand tauchte aus der Tasche, und sie hielt einen Revolver aus matt blinkendem brüniertem Stahl. Die Mündung zielte genau auf die Stirn des Asiaten.
»Ihr Japaner haltet uns doch für rothaarige Affen, nicht wahr?« fragte Coche. »Ich habe gehört, daß ihr uns Europäer so nennt. Wir sind behaarte Barbaren, stimmt’s? Dafür seid ihr schlau, feinfühlig, hochkultiviert, und die Weißen können euch nicht das Wasser reichen!« Der Kommissar blies höhnisch die Wangen auf und stieß eine dicke Rauchwolke zur Seite aus. »Ein Dutzend Affen umzubringen, das ist doch eine Lappalie und gilt bei euch nicht als Sünde.«
Aono straffte sich, sein Gesicht versteinerte.
»Sie beschuldigen mich, ich hätte Lold Littleby und seine Vasallen, das heißt, seine Dienel, umgeblacht?« fragte er mit monotoner, lebloser Stimme. »Walum?«
»Weil die Kriminologie darauf hinweist, mein Bester«, sprach der Kommissar gewichtig und wandte sich von dem Japaner ab, denn die Rede, die er halten wollte, war nicht für diesen gelbbäuchigen Bastard bestimmt, sondern für die Geschichte. Gebt mir nur Zeit, dann wird sie in den Lehrbüchern der Kriminologie gedruckt!
»Zuerst, meine Herrschaften, nenne ich Ihnen die indirekten Umstände, die
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