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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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von der Gesellschaft verurteilt oder, noch übler, verlacht zu werden. Darum haben die Japaner große Angst, etwas Ungehöriges zu tun. Ich versichere Ihnen: Als gesellschaftlicher Zivilisationsfaktor ist die Scham wirksamer als das Gewissen. Vom Standpunkt des Herrn Aono war es gänzlich undenkbar, von etwas ›Beschämendem‹ laut zu sprechen, noch dazu Fremden gegenüber. Arzt zu sein statt Militär ist beschämend. Eine Lüge einzugestehen ist noch beschämender. Und einzuräumen, daß er, ein japanischer Samurai, einem beleidigenden Spitznamen irgendeine Bedeutung beimessen könnte, ist ausgeschlossen.«
    »Danke für die Lektion.« Coche machte eine ironische Verbeugung. »Und der Fluchtversuch Ihres Klienten, geschah der auch aus Scham?«
    »That’s the point«, sagte Jackson beifällig, er wurde wieder vom Feind zum Freund. »The yellow bastard almost broke my wrist.« 1
    »Sie haben es wieder erraten, K-kommissar. Vom Schiff zu fliehen ist unmöglich, wohin auch? Mein Klient (wenn Sie ihn schon so nennen wollen) hielt seine Lage für aussichtslos und sah nur weitere Erniedrigungen voraus, darum wollte er sich sicherlich in seiner Kabine einschließen und seinem Leben nach Samuraibrauch ein Ende setzen. Ist es nicht so, Monsieur Aono?« Zum erstenmal sprach Fandorin den Japaner direkt an.
    Der gab keine Antwort, senkte aber den Kopf.
    »Sie würden eine Enttäuschung erlebt haben«, sagte ihm der Diplomat sanft. »Wahrscheinlich haben Sie es überhört: Ihr ritueller D-dolch ist von der Polizei bei der Durchsuchung beschlagnahmt worden.«
    »Ah, Sie sprechen von diesem, wie heißt es gleich, Hirakira, Harikari.« Coche griente in seinen Schnauzbart. »Blödsinn, ich glaube nicht, daß ein Mensch sich selbst den Bauch aufschlitzt. Ammenmärchen. Wenn man schon ins Jenseits will, dann lieber mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Aber darüber will ich mich nicht mit Ihnen streiten. Ich habe ein Indiz, gegen das nicht anzukommen ist – das fehlende Skalpell. Was sagen Sie dazu? Daß der eigentliche Verbrecher es beizeiten Ihrem Klienten gestohlen hat, um den Mord vorzubereiten und die Verantwortung auf Aono abzuwälzen? Das geht nicht auf! Woher sollte der Mörder wissen, daß der Professor uns seine Entdeckung beim Mittagessen mitteilen wollte? Sweetchild war ja selber gerade erst dahintergekommen, wie sich das mit dem Tuch verhielt. Erinnern Sie sich, wie zerrauft er in den Salon gelaufen kam?«
    »Nun, für das Fehlen des Skalpells kann ich Ihnen eine höchst einfache Erklärung g-geben. Und nicht als Vermutung, sondern als F-faktum. Erinnern Sie sich, wie nach Port Said plötzlich auf rätselhafte Weise Gegenstände aus den Kabinen verschwanden? Die geheimnisvolle Epidemie hörte so plötzlich wieder auf, wie sie begonnen hatte. Und wissen Sie wann? Nach dem Tod unseres dunkelhäutigen blinden P-passagiers. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie und warum er auf die ›Leviathan‹ geriet. Hier meine Theorie. Der Neger ist höchstwahrscheinlich von arabischen Sklavenhändlern aus Afrika verschleppt und auf dem Wasserweg nach Port Said gebracht worden. Warum ich das annehme? Weil er, nachdem er seinen Besitzern entflohen war, nicht irgendwohin lief, sondern auf ein Schiff. Er mag geglaubt haben, wenn ihn ein Schiff von zu Hause weggeschafft habe, könne ihn ein Schiff auch wieder zurückbringen.«
    »Was hat das mit unserer Angelegenheit zu tun?« fragte Coche aufgebracht. »Ihr Neger starb am 5. April, und Sweetchild ist gestern ermordet worden! Und überhaupt, gehen Sie doch zum Teufel mitsamt Ihren Märchen! Jackson, führen Sie den Verhafteten ab!«
    Er wandte sich entschlossen dem Ausgang zu, aber der Diplomat umklammerte auf einmal den Ellbogen des Kommissars und sagte mit widerwärtiger Höflichkeit: »Lieber Monsieur Coche, ich möchte meine Argumentation zu Ende b-bringen. Gedulden Sie sich noch ein wenig, es dauert nicht mehr lange.«
    Coche versuchte sich loszureißen, doch die Finger des Milchbarts waren wie aus Stahl. Er zerrte ein paarmal vergeblich, wollte sich aber nicht lächerlich machen und drehte sich zu Fandorin um.
    »Gut, noch fünf Minuten«, knurrte er und blickte haßerfüllt in die ungerührten blauen Augen des Frechlings.
    »D-danke. Um Ihren letzten Beweis zu widerlegen, sind fünf Minuten vollauf genug. Ich wußte, daß der Flüchtling auf dem Dampfer irgendwo einen Unterschlupf haben mußte. Im Unterschied zu Ihnen, Kapitän, habe ich nicht in den Schiffsräumen und

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