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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Kohlenbunkern zu suchen begonnen, sondern auf dem O-oberdeck. Den ›schwarzen Mann‹ hatten ja nur Passagiere der ersten Klasse gesehen. Da lag es nahe, anzunehmen, daß er sich hier versteckte. Und richtig, steuerbords im dritten Boot von vorn fand ich, was ich suchte: Speisereste und ein Bündel Sachen: ein paar bunte Tücher, eine Perlenschnur und etliche blanke G-gegenstände – ein kleiner Spiegel, ein Sextant, ein Kneifer und auch ein großes Skalpell.«
    »Warum soll ich Ihnen glauben?« brüllte Coche. Sein Fall zerbröselte zusehends zu Staub.
    »Weil ich kein persönliches Interesse habe und b-bereit bin, meine Aussagen zu beeiden. Darf ich fortfahren?« Der Russe lächelte widerlich. »Danke. Der arme Neger wollte wohl nicht mit leeren Händen nach Hause zurückkehren.«
    »Stop mal!« Regnier runzelte die Stirn. »Monsieur Fandorin, warum haben Sie Ihre Entdeckung nicht dem Kapitän oder mir gemeldet? Welches Recht hatten Sie, das zu verheimlichen?«
    »Ich habe es nicht verheimlicht. Das Bündel habe ich dort l-liegenlassen. Und als ich nach ein paar Stunden wieder in das Boot schaute, das war schon nach der D-durchsuchung des Schiffs, war es verschwunden. Ich dachte mir, Ihre Matrosen hätten es gefunden. Jetzt zeigt sich, daß der Mörder des Professors Ihnen zuvorgekommen ist. Die Beutestücke des Negers, auch das Skalpell von Monsieur Aono, sind in seinem Besitz. Der Verbrecher hat wohl die Möglichkeit … extremer Maßnahmen vorausgesehen und das Skalpell für alle Fälle bei sich getragen – um die Untersuchung auf eine falsche Spur zu führen. Monsieur Aono, Ihnen ist doch ein Skalpell gestohlen worden?«
    Der Japaner zögerte und nickte dann.
    »Und Sie haben nicht darüber gesprochen, weil ein Offizier der kaiserlichen Armee ja kein Skalpell haben k-kann, nicht wahr?«
    »Der Sextant gehört mir!« erklärte der rothaarige Baronet. »Ich dachte … Aber unwichtig. Also dieser Wilde hat ihn gestohlen. Meine Herrschaften, wenn einem von Ihnen mit dem Sextanten der Schädel eingeschlagen wird – ich habe nichts damit zu tun.«
    Es war eine totale Pleite. Coche schielte verwirrt zu Jackson.
    »Tut mir leid, Kommissar, aber Sie müssen die Reise fortsetzen«, sagte der Inspektor auf französisch und verzog mitfühlend die schmalen Lippen. »My apologies, Mr. Aono. If You just stretch Your hands … Thank You.« 2
    Die Handschellen klirrten kläglich.
    In die eingetretene Stille hinein tönte schallend die erschrockene Stimme von Renate Kleber: »Erlauben Sie, meine Herren, aber wer ist dann der Mörder?«

DRITTER TEIL

BOMBAY – PALKSTRASSE
     

GINTARO AONO
     
     
    18. Tag des 4. Monats
    mit Blick auf die Südspitze
    der Indischen Halbinsel
     
    Vor drei Tagen haben wir in Bombay abgelegt, und in dieser Zeit habe ich kein einziges Mal mein Tagebuch aufgeschlagen. Das war noch nie, denn ich habe es mir zur festen Regel gemacht, täglich zu schreiben. Aber die Pause war notwendig. Ich mußte mich in den auf mich einstürmenden Gefühlen und Gedanken zurechtfinden.
    Meinen inneren Umbruch gibt am besten ein Dreizeiler wieder, der in dem Moment entstand, als der Polizeiinspektor mir die Eisenketten abnahm.
     
    Einsam ist der Flug
    des Glühwurms in der Nacht.
    Der Himmel aber ist voller Sterne.
     
    Ich begriff sofort: Das ist ein sehr gutes Gedicht, besser als alle, die ich je geschrieben habe, aber der Sinn ist nicht offenkundig und bedarf der Erläuterung. Drei Tage lang grübelte ich und horchte in mich hinein, dann hatte ich wohl endlich Klarheit.
    Mir war das große Wunder widerfahren, von dem jeder Mensch träumt – ich hatte den seligen Zustand Satori erlebt, den die alten Griechen Katharsis nannten. Oft genug hatte mir
der Altmeister gesagt, daß Satori, wenn überhaupt, dann ganz von selbst kommt, ohne Ansporn und ohne Vorwarnungen! Der Mensch könne ein Gerechter und ein Weiser sein, könne viele Stunden täglich meditieren, Berge von heiligen Texten lesen und doch ohne Erkenntnis sterben, während irgendeinem Nichtsnutz, der dumm und sinnlos durchs Leben bummele, plötzlich der majestätische Glanz der Satori zuteil werde, wodurch sich seine nutzlose Existenz schlagartig verändere! Ich bin solch ein Nichtsnutz. Ich hatte Glück. Mit 27 wurde ich zum zweitenmal geboren.
    Die Erleuchtung und Läuterung erlebte ich nicht in einem Moment der geistigen und physischen Konzentration, sondern in einem Moment der Niedergeschlagenheit, als von mir nur noch die Hülle übrig war wie bei

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