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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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gerettet haben«, sagte ich mit einer neuerlichen Verbeugung. »Dreifachen Dank dafür, daß Sie meine Ehre gerettet haben. Und unendlichen Dank dafür, daß Sie mir ein drittes Auge geöffnet haben, mit dem ich Dinge sehe, die ich vorher nicht sehen konnte.« Fandorin-san blickte (wie mir schien, ein bißchen ängstlich) auf meine Stirn, als erwartete er, dort würde sich jetzt ein Auge auftun und ihm zuzwinkern.
    Ich sagte ihm, er sei mein Onjin, und mein Leben gehöre fortan ihm, was ihn noch mehr zu erschrecken schien. »Oh, ich träume davon, Sie in Lebensgefahr zu sehen, um Sie retten zu können, so wie Sie mich gerettet haben!« rief ich aus. Er bekreuzigte sich und sagte: »Lieber nicht. Wenn es Sie nicht gar zu sehr anficht, träumen Sie bitte von etwas anderem.«
    Das Gespräch stockte. Verzweifelt schrie ich: »Sie sollen wissen, daß ich alles, aber auch alles für Sie tun werde!« Ich präzisierte meinen Schwur, um spätere Mißverständnisse zu vermeiden: »Alles, wofern es Seiner Majestät, meinem Land und der Ehre meiner Familie keinen Schaden bringt.«
    Meine Worte lösten bei Fandorin-san eine seltsame Reaktion aus. Er lachte! Nein, ich werde die Rothaarigen wohl nie begreifen. »Na gut«, sagte er und drückte mir die Hand. »Wenn Sie darauf bestehen, dann bitte sehr. Wir werden wohl von Kalkutta zusammen nach Japan fahren. Sie können Ihre Schuld abtragen, indem Sie mir Japanisch-Unterricht geben.«
    Dieser Mann nimmt mich nicht ernst. Ich würde gern sein Freund sein, aber Fandorin-san interessiert sich viel mehr für den Steuermann Fox, der ein beschränkter Mensch ist. Mein Wohltäter verbringt recht viel Zeit in der Gesellschaft dieses Schwätzers und lauscht aufmerksam dessen Prahlereien über Erlebnisse auf See und amouröse Abenteuer, er geht sogar mit Fox auf Wache! Ehrlich gesagt, mich kränkt das. Heute war ich Zeuge, wie Fox seine Romanze mit einer »japanischen Aristokratin« aus Nagasaki beschrieb. Er erzählte von den kleinen Brüsten, den purpurroten Lippen und sonstigen Besonderheiten dieser »Miniaturpuppe«. Es wird eine billige Nutte aus dem Matrosenviertel gewesen sein. Ein Mädchen aus anständigem Hause würde mit solch einem Barbaren kein Wort wechseln! Am ärgerlichsten war, daß Fandorin-san diesem Unsinn mit sichtlichem Interesse zuhörte. Ich wollte mich schon einmischen,
aber da kam Regnier dazu und schickte Fox in irgendeiner Angelegenheit weg.
    Ach ja! Ich habe noch gar nicht über ein wichtiges Ereignis an Bord geschrieben! Kurz bevor das Schiff von Bombay ablegte, geschah eine wirkliche Tragödie, neben der mein Ungemach unbedeutend erscheint.
    Um halb neun am Morgen, als schon die Anker gelichtet waren und man eben die Taue lösen wollte, wurde dem Kapitän vom Ufer ein Telegramm überbracht. Ich stand an Deck und blickte auf Bombay, die Stadt, die in meinem Leben eine so wichtige Rolle gespielt hatte. Ich wollte dieses Bild für immer meinem Herzen einprägen. Darum wurde ich Zeuge des Geschehens.
    Kapitän Cliff las die Depesche, und sein Gesicht veränderte sich schlagartig. So etwas hatte ich noch nie gesehen! So legt ein Schauspieler des No-Theaters die Maske des Drohenden Kriegers ab und setzt die Maske des Wahnsinnigen Leids auf. Das wettergegerbte, grobe Gesicht des alten Seebärs erzitterte. Der Kapitän gab ein Stöhnen oder Schluchzen von sich. »Oh God!« schrie er heiser. »My poor girl!« 1 Und er stürmte von der Brücke hinunter in seine Kabine, wie sich später herausstellte.
    Die Vorkehrungen zum Ablegen wurden ausgesetzt. Das Frühstück begann wie immer, aber Leutnant Regnier verspätete sich. Alle sprachen nur von dem seltsamen Verhalten des Kapitäns und rätselten, was in dem Telegramm stehen mochte. Regnier-san kam erst, als die Mahlzeit zu Ende ging. Er sah bekümmert aus und teilte mit, daß die einzige Tochter von Cliff-san (ich schrieb schon, daß der Kapitän sie vergötterte) bei einer Feuersbrunst in ihrem Pensionat schwere Verbrennungen erlitten habe. Die Ärzte fürchteten um ihr Leben. Der Leutnant sagte, Mr. Cliff sei wie von Sinnen. Er habe beschlossen,
sogleich von Bord der »Leviathan« zu gehen und mit dem ersten Paketboot nach England zurückzukehren, da er jetzt bei seiner Tochter sein müsse. Der Leutnant sagte immer wieder: »Was soll bloß werden? Welch eine Unglücksfahrt!« Wir trösteten ihn nach Kräften.
    Ich muß gestehen, daß ich den Entschluß des Kapitäns nicht gutheißen konnte. Sein Kummer war mir

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