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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Professor uns von seiner Entdeckung erzählte.
    Wenn Coche-san nicht so stur wäre und die »Hannover« unvoreingenommen betrachtete, würde er begreifen, daß er seine Zeit verschwendet.
    Ich gehe einen nach dem anderen durch.
    Fandorin-san. Seine Unschuld liegt auf der Hand. Würde er sonst den Verdacht von mir genommen haben, als meine Schuld von niemandem bezweifelt wurde?
    Die Eheleute Truffo. Der Doktor ist ein etwas komischer, doch sehr gutmütiger Mensch. Er könnte keiner Zikade etwas zuleide tun. Seine Frau ist die verkörperte englische Wohlanständigkeit. Sie könnte niemanden töten aus dem einfachen Grund, weil es unanständig wäre.
    M.-S.-san. Er ist ein sonderbarer Mensch, der dauernd etwas vor sich hin murmelt und manchmal aufbraust, doch in seinen Augen ist tiefes und aufrichtiges Leid erstarrt. Mit solchen Augen begeht man keinen kaltblütigen Mord.
    Kleber-san. Nun, da ist alles klar. Erstens ist es beim Menschengeschlecht nicht üblich, daß eine Frau, die im Begriff ist, neues Leben zur Welt zu bringen, mit solcher Leichtigkeit das Leben anderer zertrampelt. Schwangerschaft ist ein Mysterium, welches uns lehrt, sorgsam mit der menschlichen Existenz umzugehen. Zweitens befand sich Kleber-san zur Tatzeit bei dem Polizisten.
    Und schließlich Stomp-san. Sie hat kein Alibi, aber die Vorstellung, daß sie sich von hinten an einen Bekannten heranschleicht, ihm mit ihrer schmalen, schwachen Hand den Mund zuhält und mit der anderen mein unglückseliges Skalpell ansetzt … Blödsinn. Ausgeschlossen.
    Reiben Sie sich die Augen, Kommissar-san. Sie stecken in der Sackgasse.
     
    Das Atmen fällt mir schwer. Ob ein Sturm im Anzug ist?

KOMMISSAR COCHE
     
     
    Die verfluchte Schlaflosigkeit machte ihm schwer zu schaffen. Schon die fünfte Nacht litt er Höllenqualen, und es wurde immer ärger. Und fand er im Morgengrauen doch noch Vergessen, so hatte er Träume, vor denen Allah einen bewahren möge. Dann erwachte er wie zerschlagen, und in den von den nächtlichen Gesichten benommenen Kopf krochen verrückte Gedanken. Ob es wirklich an der Zeit war, in Pension zu gehen? Am liebsten hätte er auf alles gepfiffen, doch das ging nicht. Es gab nichts Schlimmeres als ein bettelarmes Alter. Irgend jemand hat es auf einen Schatz von anderthalb Milliarden Francs abgesehen, und du, Alter, sollst mit jämmerlichen hundertfünfundzwanzig im Monat auskommen.
    Am Abend wetterleuchtete es am Himmel, Wind heulte in den Masten, und die »Leviathan« krängte schwerfällig in den kraftvollen schwarzen Wellen. Coche lag lange im Bett und starrte zur Decke. Die war bald dunkel, bald unnatürlich weiß – wenn ein Blitz aufzuckte. Regen peitschte auf das Deck, und auf dem Tisch fuhr löffelklirrend ein vergessenes Glas mit einer Mixtur für die kranke Leber hin und her.
    Einen Sturm auf See erlebte Coche zum erstenmal, aber Angst hatte er nicht. Konnte solch ein ungeheures Schiff etwa untergehen? Nun, es schaukelte und dröhnte, doch das würde sich wieder geben. Nur ließen die Donnerschläge ihn nicht schlafen. Kaum begann er einzudrusseln, schon krachte es wieder.
    Aber er mußte wohl doch eingeschlafen sein, denn er setzte sich ruckartig auf und wußte nicht, was vorging. Sein Herz schlug so laut, daß es durch die Kabine schallte.
    Nein, das war nicht das Herz, sondern die Tür.
    »Kommissar!« (Poch-poch-poch.) »Kommissar!« (Poch-poch-poch.) »Machen Sie auf! Schnell!«
    Wer war das? Fandorin wohl.
    »Wer ist da? Was wollen Sie?« schrie Coche und preßte die Hand gegen die linke Brustseite. »Sind Sie verrückt?«
    »Machen Sie auf, verdammt noch mal!«
    Oho! Was für ein Ton für einen Diplomaten! Etwas Ernstes mußte geschehen sein.
    »Gleich!«
    Coche nahm verschämt die Nachtmütze mit der Troddel (von der alten Blanche gestrickt) ab, warf den Hausmantel über, fuhr in die Latschen.
    Ein Blick durch den Türspalt – ja, Fandorin. Gehrock, Krawatte, Rohrstock mit beinernem Knauf. Glühende Augen.
    »Was ist?« fragte Coche mißtrauisch, denn ihm war schon klar, daß er von dem nächtlichen Besucher etwas Scheußliches zu hören bekommen würde.
    Der Diplomat sprach anders als sonst – schnell, abgerissen, ohne zu stottern.
    »Ziehen Sie sich an. Nehmen Sie eine Waffe mit. Wir müssen Kapitän Regnier verhaften. Sofort. Er steuert das Schiff in die Klippen.«
    Coche schüttelte den Kopf – war diese Ungereimtheit ein Traum?
    »Haben Sie zuviel Haschisch geraucht, Monsieur Russe?«
    »Ich bin nicht allein

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