Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
hörten.
    »Hier ist Eingang zu die Kapitänsbrücke und Steuerhaus!« schrie Fox. »Ohne Erlaubnis von Kapitän darf niemand hinein!«
    Coche zog den Revolver aus der Tasche und spannte den Hahn. Fandorin tat das gleiche.
    »Sie werden schweigen!« warnte der Kommissar für alle Fälle den so überaus aktiven Diplomaten. »Ich mache das selbst! Oh, ich hätte nicht auf Sie hören sollen!« Und er stieß entschlossen gegen die Tür.
    Sie ging nicht auf.
    »Er hat sich eingeschlossen«, konstatierte Fandorin. »Sagen Sie was, Fox!«
    Der Steuermann hämmerte gegen die Tür.
    »Captain, it’s me, Jeremy Fox! Please open! We have an emergency!« 1
    Hinter der Tür tönte dumpf die Stimme Regniers: »What happened, Jeremy?« 2
    Die Tür blieb geschlossen.
    Der Steuermann drehte sich ratlos zu Fandorin um. Der zeigte auf den Kommissar, hielt dann den Finger an die Schläfe und tat, als zöge er durch. Coche verstand die Pantomime nicht, aber Fox nickte und brüllte aus vollem Halse: »The french cop shot himself!« 3
    Sofort wurde die Tür aufgerissen, und Coche zeigte dem Kapitän mit Vergnügen sein nasses, doch quicklebendiges Gesicht. Und das schwarze Loch der Lefaucheux-Mündung.
    Regnier stieß einen Schrei aus und prallte zurück wie von einem Schlag. Wenn das kein Indiz war: Ein Mensch mit gutem Gewissen weicht nicht so vor der Polizei zurück.
     
    Coche packte ohne viel Federlesens den Seemann am Kragen seiner Segeltuchjacke.
    »Es freut mich, daß die Nachricht von meinem Tod Sie dermaßen beeindruckt, Herr Radscha«, schnurrte der Kommissar, dann schnauzte er sein in ganz Paris berühmtes: »Hände über den Kopf! Sie sind verhaftet!«
    Bei diesen Worten waren schon abgefeimte Pariser Halsabschneider in Ohnmacht gefallen.
    Am Steuerrad war, halb umgewandt, der Rudergänger erstarrt. Er hatte gleichfalls die Hände gehoben, und das Steuerrad drehte leicht nach Steuerbord.
    »Halt das Rad fest, Idiot!« fuhr Coche ihn an. »Und du« – er stieß einen der Wachhabenden leicht mit dem Finger an – »holst sofort den Ersten Offizier her, er soll das Schiff übernehmen. Einstweilen kommandieren Sie, Fox. Aber ein bißchen plötzlich! Befehlen Sie ›Maschine stop‹ oder, was weiß ich, ›volle Kraft rückwärts‹, aber stehen Sie nicht da wie ein Ölgötze!«
    »Mal sehen«, sagte der Steuermann, über die Karte gebeugt. »Vielleicht ist noch nicht zu spät, backbords zu steuern.«
    Mit Regnier war alles klar. Er versuchte nicht einmal, den Empörten zu spielen, stand da mit gesenktem Kopf. Die Finger seiner erhobenen Hände bebten.
    »So, dann wollen wir uns mal unterhalten«, sagte Coche herzlich zu ihm. »Ach, werden wir uns schön unterhalten!«

RENATE KLEBER
     
     
    Zum Frühstück erschien Renate später als die anderen und erfuhr daher als letzte von den Ereignissen der vergangenen Nacht. Alle wetteiferten darin, ihr die unvorstellbaren, ungeheurlichen Neuigkeiten mitzuteilen.
    Also, Kapitän Regnier ist nicht mehr Kapitän.
    Also, Regnier heißt gar nicht Regnier.
    Also, er ist der Sohn jenes Radschas.
    Also, er hat sie alle umgebracht.
    Also, in der Nacht wäre das Schiff beinahe untergegangen.
    »Wir haben friedlich in unseren Kabinen geschlafen«, flüsterte Clarissa Stomp mit vor Entsetzen geweiteten Augen. »Und dieser Mensch hat derweil das Schiff direkt gegen die Klippen gesteuert. Können Sie sich vorstellen, was dann passiert wäre? Nervenzerfetzendes Knirschen, ein Stoß, das Krachen der gerissenen Schiffshaut! Man fällt aus dem Bett und kapiert im ersten Moment überhaupt nichts. Dann Schreie, Füßetrappeln. Der Fußboden neigt sich mehr und mehr auf die Seite. Und das Schlimmste: Das Schiff steht still! Alle laufen halbnackt an Deck …«
    »Not me!« 1 warf Madame Truffo entschlossen ein.
    »Die Matrosen versuchen, die Boote zu Wasser zu lassen«, fuhr die phantasievolle Clarissa in dem gleichen mystisch gedämpften Flüstern fort, ohne den Einwand der Doktorsfrau zu beachten. »Aber die Passagiere rennen hin und her und stören. Bei jeder neuen Welle legt sich das Schiff mehr auf die Seite. Wir können uns kaum noch auf den Beinen halten und müssen uns irgendwo festklammern. Die Nacht ist schwarz, das Meer brüllt, am Himmel tobt das Gewitter … Ein Boot wird schließlich zu Wasser gelassen, aber es haben sich so viele Menschen, vor Angst halb wahnsinnig, hineingedrängt, daß es umschlägt. Kleine Kinder …«
    »Nun ist es aber g-genug«, unterbrach Fandorin sanft, doch

Weitere Kostenlose Bücher