Mord auf Frauenchiemsee - Oberbayern Krimi
Sie brauchte einen Schemel, und ihr Blick fiel auf den samtbezogenen Beichtschemel. Sie zog die Turnschuhe aus, um keine Abdrücke zu hinterlassen. Unverkennbare, denn außer ihr trug keine der Schwestern Turnschuhe. Der Samt war weich, aber rutschig. Sie stieg auf den Schemel und nahm erst einmal die Reliquie mit den Knöchelchen herunter. Das fragile Ding war ihr zu gefährlich, eine falsche Bewegung oder ein Hängenbleiben mit dem Ärmel, und sie hätte einen Kunstgegenstand vernichtet. Dagegen würde sich der Diebstahl eines kleinen Knochens harmlos ausnehmen.
Althea klappte den Deckel auf und steckte ihre Nase in den Kasten. Dann schob sie die Gebeine und die anderen Gegenstände beiseite. Auf den ersten Blick fand sich nichts, aber vielleicht hatte man mit doppeltem Boden gearbeitet. Althea platzierte die Habseligkeiten der seligen Irmengard auf dem Altar.
Noch einmal ließ sie ihre Hände das Innere des Kastens erkunden, aber einen doppelten Boden gab es nicht.
Nachdem sie alles wieder an seinen Platz geräumt, den Altarraum abgesperrt und den Schlüssel an den Haken gehängt hatte, überlegte sie, wo sich eine Suche noch lohnen könnte. Nur diesmal verweigerten ihre Sinne den Dienst, sie gähnte. Es war spät, zu spät, um sich erneut ins Abenteuer zu stürzen. Vielleicht konnte sie im Archiv ein wenig suchen. Zeta hatte ihr zu verstehen gegeben, dass auch Irmengard eine Geheimniswahrerin gewesen war. Und außerdem die erste Äbtissin und Schutzpatronin des Chiemgaus.
Auf der Suche nach dem Versteck der Tagebücher hatte Althea noch jemanden mit einem Geheimnis entdeckt.
4
Friedrich von Regensburg
Er war als junger Mann in das Regensburger Kloster der Augustiner-Eremiten eingetreten und arbeitete hauptsächlich in der Klosterschreinerei. Der Laienbruder versäumte niemals die Kommunion. Als er eines Tages während der Messe Brennholz machen musste, erschien ihm ein Engel und spendete ihm die Kommunion.
29. November
Das erste Adventswochenende – um zwölf Uhr Mittag würde der Christkindlmarkt starten. Valentin Zeiser behielt recht, was Althea ärgerte. Aber das Wetter hatte er sicher nicht bestellt. Graupel fiel und blieb liegen, die Seeoberfläche und die sehr kalte Luft entzogen dem Wasser Energie, es kühlte ab und gefror schließlich. Noch ging dieser Prozess langsam vonstatten.
Der einzige Lichtblick war die Ankunft der warmen Strumpfhosen aus dem Altweiberkatalog. Die würde sie bei dem Wetter auch brauchen. Wie ein See gefriert, wussten die Moderatoren der Vormittagssendung, und ausnahmsweise konnte Althea ihnen zuhören. Sie hatte den morgendlichen Gottesdienst verpasst.
Nach ihrer erfolglosen Suche in der Kapelle hatte sie die halbe Nacht in der Küche gestanden, um für kleine Überraschungen zu sorgen. Eingepackt werden mussten sie auch noch, und Althea wusste genau, dafür war keine Zeit mehr, wenn die Fähre erst angelegt und der Ansturm auf den Christkindlmarkt begonnen hatte.
Sie war gerade dabei, sich anzuziehen, als es klopfte. Die Besucherin wartete die Aufforderung nicht ab.
»Schwester Althea, in der Küche riecht es frappierend nach Alkohol. Du warst doch als Letzte in den Räumen.«
Althea gähnte hinter vorgehaltener Hand. Konnten Gerüche frappierend sein? Nicht, dass ich wüsste, dachte Althea.
»Der Rum«, gab sie Auskunft. »Meine Adventssockenüberraschung.«
»Heiland!«, lautete die Entgegnung, die keineswegs positiv gemeint war. Althea hätte anmerken können, dass es kubanischer Rum war und damit normalerweise gesegnet mit Aroma; diese Leute verstanden etwas davon.
Doch das würde sie bleiben lassen. Der Blick der Äbtissin streifte ohnehin forschend durch die Zelle, und gerade hatte Jadwiga ihr wildes Potpourri entdeckt. Sie schlug die Tür hinter sich zu. »Was ist denn da passiert?«
Nichts war passiert, aber Althea war zu müde gewesen, um noch aufzuräumen, und so lagen die Schnipsel, eine Schere, ein dünnes Geschenkband und eine Rolle Papier auf dem Boden neben einem Teller mit Resten von Schokolade, Kokosflocken, Nusskrokant und Mandeln.
»Althea, ich habe dich bei der Frühmesse nicht gesehen.«
Jadwiga verschränkte die Arme vor der Brust. »Du konntest mich nicht sehen, weil ich nicht in der Frühmesse war. Diese Messe ist gnadenlos zeitig, und ich musste meine Überraschungen fertig bekommen, weil ich doch heute auf dem Christkindlmarkt sein werde. Wie du weißt.«
»Gnadenlos«, wiederholte Jadwiga. »Das wäre es, wenn ich dir die
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