Mord auf Frauenchiemsee - Oberbayern Krimi
hatte, dass er heulen würde wie ein Schlosshund. Er vergrub sich unter der alten Decke, ließ sich vom Stroh stechen, ohne etwas zu spüren, und fragte sich, ob die Polizei außer ihm überhaupt jemanden verdächtigte. Wahrscheinlich nicht. Sein Vater würde ihnen sagen, dass der Spaten verschwunden war, und auch der Naturbast.
Leonie war niedergeschlagen und gefesselt worden, hatte es geheißen. Das passte gut ins Bild.
Seine Mutter wäre auf seiner Seite – bis zuletzt –, aber wahrscheinlich dachte auch sie, ihr Sohn wäre ein Mörder.
Es war alles seine Schuld, musste er sich eingestehen. Er hatte Leonie nicht aufgeben wollen, und als er Heidelindes Recherchen gefunden hatte, wie im 17. Jahrhundert ganz normale Frauen verdächtigt wurden, mit dem Teufel im Bunde zu sein, da hatte er ihr Material kopiert und für sich weitergeforscht. Andreas hätte ihr über so ziemlich jeden Bürger des Ortes, dessen Familie seit Generationen hier lebte, etwas verraten können; die dunklen Punkte in der Vergangenheit der Familien waren zahlreich.
Diese Sache hatte irgendwann angefangen, ihn verrückt zu machen. Und jetzt wusste er nicht, wie er da wieder herauskommen sollte. Das Beste wäre, er würde sich stellen, doch er war nicht sonderlich glaubwürdig. Sein heimliches Davonstehlen half auch nicht gerade, und wenn die Polizei einen Blick in sein Notebook geworfen hatte, dann wäre es für ihn aus und vorbei.
Wenn er noch einen Freund hätte, könnte er zu Jo gehen und sich mit ihm beraten. Aber Johannes hatte ihn aus seinem Leben gestrichen.
Er schaute auf die Uhr, die volle Stunde, und wieder kam die Meldung vom Mord an Leonie. Der Moderator sagte mit Grabesstimme, es wäre noch nicht klar, ob an Leonie Haberl sexuelle Handlungen praktiziert worden seien.
Andreas sog scharf die Luft ein. Nein! Er schaltete das Radio ab und machte die Augen zu. Was jetzt?
Sie würden ihn jagen wie einen Wolf, der ein Schaf gerissen hatte.
Er setzte sich auf. Nachts konnte er unterwegs sein, ohne gesehen zu werden, die Vorweihnachtszeit hielt viele in ihren Häusern und Wohnungen. Die Hütte lag an einem kleinen Bachlauf, ein wenig versteckt im Gewerbegebiet. Er könnte den Weg abkürzen und das letzte Stück durch den Wald gehen. Nach Hause. Mit seinen Eltern reden und danach zur Polizei.
* * *
Kath hatte die junge Frau sterben sehen. Wie schon einige vor ihr. Es war kein Fremder gewesen, der sie tötete. Es war jemand, den Leonie Haberl kannte, dem sie vertraut hatte.
Erbarmungslos und kalt hatte er zugeschlagen, sie in Seelenruhe verschnürt und am Ufer des Chiemsees liegen lassen. »Du bist ertrunken«, sagte die alte Kath, »der Schlag war nicht tödlich.«
Die Fesseln. Das Wie. Ein Mordszenario.
Er hatte zwei Gesichter, obwohl er für sie keines hatte, aber Kath fühlte ihn.
Für wen sollte es so aussehen, als wäre die Novizin gerichtet worden? »Du warst keine Hexe, doch er wollte dich zu einer machen. Das war wichtig für ihn.«
Katharina Venzl führte Selbstgespräche. Sie versuchte, die Bilder besser zu verstehen. Zuerst hatte sie das Mädchen gesehen, blond und hübsch anzuschauen. Sie ging vorbei am Klosterwirt und weiter den Uferweg entlang. Aber ihr Aussehen war es nicht, denn er wollte etwas anderes von ihr. Er brauchte sie. »Wozu?«, fragte Kath. »Und warum du?« Diese Antworten verweigerten sich ihr, doch das Gefühl, dass es nicht vorbei war, dass noch etwas getan werden musste, blieb. Leonie war für ihn verloren, und der Tod war nicht schnell zu ihr gekommen.
»Die zweite Novizin«, flüsterte Kath, doch die Bilder zeigten ihr etwas anderes.
Als würde sie in ein Karussell steigen, das plötzlich anhielt. Nur die Musik spielte weiter. Es gab eine Zeitdifferenz, denn jetzt war es Nacht, wahrscheinlich lagen nur wenige Stunden zwischen dem Mord und diesem Nachher.
Schuhabdrücke im Schnee und eine Gestalt, die zwischen den Bäumen herumschlich. Es war dunkel, aber Kath konnte die Abdrücke sehen, weil der Strahl einer Lampe auf sie fiel.
Wichtig, sagte ihr etwas. Da war noch eine zweite Person. Der gleiche Täter. Mit der Nonne hatte er nicht gerechnet. Die alte Kath erhaschte einen Gedanken: Bleib weg, sonst stirbst du .
Aber da saß sie bereits wieder im Karussell. Es dauerte immer einige Zeit, bis sie im Hier und Jetzt ankam.
Wegbleiben, von was? »Schwester Althea, was bist du im Begriff zu finden?«
Die Bilder ließen sich selten bewusst aufrufen; gerade jetzt hätte Kath aber einiges
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