Mord auf Frauenchiemsee - Oberbayern Krimi
zu verstehen.«
Althea glaubte zu wissen, wer den Lateinunterricht gegeben hatte – eine Äbtissin. Ihr Verdacht wurde bestätigt.
»Ulrika Bruggner starb 1682, über sie gibt es nicht viel zu lesen. Aber diese Bibel erzählt doch eine Geschichte – die der jungen Frau, die im Kloster diverse Arbeiten versah und lesen und schreiben lernte.«
»Dann stammte ihre Familie aus der Gegend?«, fragte Althea.
»Zumindest nicht sehr weit entfernt. Irschenberg war zu der Zeit eine kleine Gemeinde, hundert Jahre zuvor erzählte man sich noch, dass in den Höhlen und Schluchten der dortigen Umgebung Bären lebten. ›Das Alpenvolk‹wurden die Bewohner genannt. Was für ein Glück war es da, wenn eine von ihnen eine gute Anstellung im Kloster auf der Insel bekam. – Schade, dass es nicht länger gedauert hat, die Seiten wieder ordentlich zu binden, womöglich war einiges davon mit Geheimtinte geschrieben.«
»Geheimtinte«, wiederholte Althea. Sie war nicht sicher, ob diese Ergänzung ernst gemeint war.
»Sagen Sie bloß, Sie wissen darüber nicht Bescheid?«, zog Lichtenfels sie auf.
»Das ist leider allzu wahr.« Gespannt schaute sie ihn an. Dieser Historiker war klug, belesen und unterhaltsam, was Althea gefiel. Und es konnte ja nicht schaden, nebenbei etwas zu lernen.
»In Kriegszeiten wurde diese Praktik angewandt, sehr bekannt dürfte sie aber nicht gewesen sein. Erkläre Ihnen aber gern, wie es funktioniert.«
Althea nickte.
»Man braucht einen Stoff, der auf weißem Papier zunächst unsichtbar ist und erst in Reaktion mit einer anderen Flüssigkeit sichtbar wird. Die erste Komponente ist Eisensalz, es wurde in Bergwerken abgebaut und ergibt, aufgelöst in Wasser oder Essig, eine farblose Flüssigkeit. Der Stoff, um die Schrift sichtbar zu machen, ist exotischer: An den Unterseiten der Eichenblätter legt die Eichengallwespe ihre Eier ab. Und wenn man diese kleinen Galläpfel zerstößt, auflöst und diese bräunliche Flüssigkeit über das Papier streicht, wird die Eisensalztinte dunkel.«
»Schwester Jadwiga wird Schreckliches mit mir anstellen, wenn ich mit den uralten Büchern je einen Versuch in dieser Richtung wagen sollte.«
»Dann werden die Geheimnisse auf immer welche bleiben«, sagte Lichtenfels. »Wer also ist die Geheimniswahrerin heute und für die nächsten Jahrzehnte?«
Es war eine rhetorische Frage, doch das eigentlich Beängstigende war, was sich so alles in alten Büchern fand.
Althea sollte vielleicht die Klosterbibeln näher untersuchen. Aber besser nicht mit der spannenden, aber für die Bücher tödlichen Zwei-Komponenten-Methode.
Sie beantwortete stattdessen die Frage, die er zu Beginn gestellt hatte und die weniger Fallen barg, nämlich, was die Abtei an Persönlichem von der ersten Äbtissin besaß.
»Irmengard war die Tochter von Kaiser Ludwig dem Deutschen und seiner Gattin, der Welfenfürstin Hemma. Sie wurde in Regensburg geboren und von Ordensschwestern in Buchau am Federsee erzogen. Danach kam sie nach Frauenwörth, wo sie ein altes, halb verfallenes Kloster, das man beinahe schon vergessen hatte, wieder aufbaute. Persönliche Dinge kann es von ihr nicht viele gegeben haben, außer vielleicht ein Erinnerungsstück von ihrer Familie. – Über das mir nichts bekannt ist«, fügte Althea dazu. »Irmengard war eine mutige und tapfere Frau, sie hat von den Klosterfenstern aus hinaus auf die Welt geschaut, aber nie das weite Leben außerhalb kennengelernt.«
»Das klingt, als würde sie Ihnen leidtun.« Der Historiker hatte während ihrer Unterhaltung die Leinwand vom Rahmen gelöst.
»Anders: Ich hätte ihr zu gern ein Stück Leben gegönnt, damit sie dann wählen konnte. Ich weiß, es war nicht üblich. Damals hieß es: Gehorche.«
»Was Sie sicher nur selten taten. Sie haben sich das weite Leben angesehen, aber Sie haben gewählt.« Lichtenfels schaute Althea an.
»Gehorche. Ich lerne immer noch.«
»Anpassung – das verkörpern Sie nicht, aber ich kann mich ja täuschen. Unterhalten wir uns nur, oder stellt mir die Priorin eine Schwester zur Seite?«, fragte er dann, und Althea schüttelte den Kopf. »Zur Seite stehe ich heute dem Archivar ein Stockwerk tiefer.«
»Das scheint mir sinnvoll. Nicht dass da ein wertvolles Dokument wegkommt.« Er zwinkerte ihr zu.
Althea war lange nicht mehr im Klosterarchiv gewesen. Zu Schulzeiten hatten die Schülerinnen es besichtigen dürfen. Sehr spannend, die einzelnen Staubpartikel auf den eselsohrigen Folianten vergangener
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