Mord auf Frauenchiemsee - Oberbayern Krimi
haben.
Sie tat trotzdem so, als wüsste sie nicht, was er meinte. Und musste feststellen, dass sie es tatsächlich nicht wusste.
»Das muss der Fluchtweg sein. Er wurde für Notzeiten angelegt, und wie es sich darstellt, führt er ins Freie – was nicht stimmen kann, man würde demnach im See rauskommen.« Er schüttelte den Kopf, eine Augenbraue hob sich ungläubig.
»Die Insel ist vielleicht in den letzten tausend Jahren geschrumpft«, fiel ihm dann ein.
»Wem nützt ein Geheimgang, der überhaupt nicht geheim ist?«, wunderte sich Althea. Nicht jeder konnte einen Bauplan lesen, trotzdem ergab das keinen Sinn.
Dr. Seidel erklärte ihr, dass der Gang erst viel später eingezeichnet worden sei, und nicht von den eigentlichen Erbauern. »Da war die Zeit der größten Gefahren bereits vorüber, und hätte ihn niemand eingezeichnet, wäre dieses Wissen verloren gegangen. Hier ist zum Beispiel eine geheime Kammer.« Er klang nicht übermäßig beeindruckt, die Antwort auf ihre unausgesprochene Frage, warum nicht, bekam Althea auf der Stelle.
»Ich schaue mir immer die alten Pläne an. Gesehen habe ich so etwas schon häufig, manches Mal meint ›geheim‹ wirklich unberührt, und in den Gängen liegen noch die Überreste der Bewohner. Die Frau in der Klostereiche … sie hatte vielleicht gar nichts mit der Abtei zu tun. Der Dreißigjährige Krieg endete 1648, und während der Kriegswirren wurde das Kloster Frauenwörth auch zum Zufluchtsort für andere Konvente. Es gibt genügend Aufzeichnungen über diese Zeit, sogar ein Blitzeinschlag ist dokumentiert, doch nichts über eine Schwester, die verschwand.«
Althea würde ihn ihre Erleichterung nicht sehen lassen.
Wenn Frau Professor niemanden mit der Nase auf den Hexenstern stoßen würde, dann könnte Margarete von Enzensdorf ihre Ruhe finden. Sie müssten die Frau wahrscheinlich auf ihrem Friedhof bestatten. Aber sie wäre nicht die Erste, die dem Kloster hatte schaden wollen und dann auf dem hiesigen Friedhof den ewigen Schlaf schlief.
Althea war sich nicht einmal sicher, ob sie ihr diesen wünschte. Ruhelos sollte sie … nein, denn manche Wünsche fielen auf einen zurück. Sie verscheuchte diesen Gedanken und wandte sich einem anderen zu.
Die Tagebücher waren wahrscheinlich nicht hier unten, sonst hätte Dr. Seidel sie entdeckt. Wie es aussah, war er gründlich.
»Zukünftig wird etwas anderes in den Aufzeichnungen erscheinen – der Mord an einer jungen Novizin. Das bedrückt uns alle«, begann Althea und bat im Stillen um Verzeihung, dass sie daraus etwas konstruierte. Aber sie wollte es wissen, und sie würde danach fragen. »Sind Sie mit Leonies Familie bekannt?«
Wenn er log, sah sie es vielleicht in seinen Augen, aber das tat er nicht, er suchte nicht einmal nach einer Ausflucht.
»Oh ja, darum war es auch so entsetzlich. Patrick Haberl und ich kennen uns schon lange. Er bat mich immer wieder einmal, etwas für ihn zu recherchieren, was ich gern tat. Und so kam es auch, dass ich zu den ersten Käufern eines Bruchstücks des Sargdeckels der Seligen gehörte. Der Erzbischof war empört.« Der Archivar setzte ein schelmisches Lächeln auf, was Althea wieder ihre erste Begegnung in Erinnerung brachte, als er ihre Unterwäsche bewundert hatte. Der Mann hatte zwei Gesichter, und sie wusste nicht, welches er nur zur Tarnung trug.
»Sie glauben, die Fragmente sind echt?«
Althea bekam gesagt, dass er es nicht nur glaube, sondern sicher wisse. »Beim Kirchenumbau 1475 ist der Sargdeckel mit der Inschrift zerbrochen, heißt es. Ein Vorfahre von Patrick Haberl war einer der Arbeiter und hat die Bruchstücke abtransportiert. Das Kloster konnte damit nichts anfangen. Wenn Sie von mir allerdings wissen möchten, ob ich den Marmorfragmenten eine wundertätige Wirkung zuschreibe, dann muss ich sagen, ich habe nichts davon bemerkt.«
Doch etwas anderem schrieb er solche Wunder scheinbar schon zu.
»Was würden Sie zu Knochenfragmenten sagen – könnte von ihnen so etwas ausgehen?« Und zum ersten Mal bemerkte Althea einen Riss in seiner Fassade.
»Möglich«, antwortete er einsilbig.
Sie hatte ihn herausgefordert, und vielleicht sollte sie auf ihren Kopf aufpassen. Nonnen waren in der Regel selten in Gefahr, allzu recherchefreudige Nonnen aber womöglich schon.
Althea würde sich noch daran erinnern.
»Außer interessanten Plänen hat die Bibliothek doch sicher noch mehr zu bieten.« Sie deutete mit großer Geste hinter sich.
Sie hatte keine
Weitere Kostenlose Bücher