Mord auf Widerruf
Unmensch. Ich habe ihm keinen Vorwurf daraus gemacht, daß er weggegangen ist, um Arbeit zu suchen. Besser, als hier rumzusitzen und die Stütze zu versaufen wie einige, die ich kenne.«
»Hätten Sie ihm nicht eine Stelle anbieten können?«
»Glauben Sie etwa, ich hätte das nicht getan?« rief Stringer empört aus. »Er wollte nicht für mich arbeiten! Das hat er mir geradewegs ins Gesicht gesagt. Es sei schlimm genug, mit mir leben zu müssen. Ich habe erwidert, das kannst du gleich ändern, wenn du willst.«
»Und da hat er sein Bündel geschnürt und ist ab in den Süden. Sie sitzen also in der Webster Street, und plötzlich sehen Sie Ihren Schwiegersohn auf dem Gehsteig, und er ist in Begleitung dieses Mädchens …«
»Dieser Schlampe!« sagte Stringer heftig. »Ich erkenne eine Nutte aus hundert Metern Entfernung.«
»Das ist ein großes Talent«, sagte Dalziel bewundernd. »Erspart Ihnen eine Menge Mühe im Nonnenkloster. Sie folgen ihnen also bis zum Haus, und es kommt zum Streit …«
»Ich wollte keinen Streit. Ich wollte nur wissen, was Sache war.«
»Es kam also nicht zum Streit?«
»So ganz ruhig ist es nicht abgelaufen«, räumte Stringer ein. »Natürlich fing die Schlampe an zu keifen, jetzt hat sie die Nase voll, das ist ihre Bude, sie geht jetzt, und wenn sie wiederkommt, will sie keinen von uns mehr sehen.«
»Und nachdem sie weg war, sind Sie ans Eingemachte?«
Stringer sagte grimmig: »Ich habe ihm unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß ich nicht will, daß er zu meiner Tochter und meinem Enkel zurückkommt, nachdem er sich mit dieser Schlampe abgegeben hat und sich bei ihr alles geholt hat, was man sich nur holen kann!«
»Ach ja? Und wie haben Sie erreicht, daß er das kapiert hat? Einen vor den Latz geknallt und den Schädel eingeschlagen?«
»Ich habe ihn nicht angefaßt«, sagte Stringer. »War gar nicht nötig, er hatte schon vom Zuhören die Hosen voll.«
»Und als Sie weggegangen sind, hatte er ein für allemal kapiert, daß er besser blieb, wo er war?«
»Ich schätze, ja«, sagte Stringer.
»Vielleicht versetze ich Ihnen ja einen Schock, Mr. Stringer, aber Ihre Überredungskünste waren weniger wirksam, als Sie denken«, sagte Dalziel. »Doch vielleicht wissen Sie das ja schon.«
»Wovon reden Sie?«
»Ich rede davon, daß Ihr Schwiegersohn, Tony Appleyard, doch zurückgekommen ist, Mr. Stringer. Aufgetaucht und wieder verschwunden – wie ein Spuk.«
Stringer sah ihn mit leerem Blick an.
»Er ist zurückgekommen, sagen Sie? Zu mir garantiert nicht, nachdem, was ich zu ihm gesagt habe.«
»Sie hätte er ja wohl auch nicht sehen wollen, oder?« sagte Dalziel.
Er wandte sich um und sah hinüber zur Treppe, die ins Büro führte. Sie war inzwischen leer. Wield war heruntergekommen und unterhielt sich mit Swain. Doch hinter dem schmierigen Fenster war der Schatten einer Gestalt auszumachen.
»Und zu Shirley auch nicht, falls Sie sich das einbilden. Was soll das Ganze überhaupt?«
»Ich dächte, das liegt auf der Hand. Ein Junge verschwindet – unser Job, ihn zu finden.«
»Nun tun Sie doch nicht so als ob! Sie waren ja auch vorher nicht an ihm interessiert. Und ihr Typen verplempert doch keine Zeit darauf, hinter jemandem her zu sein, wenn ihr euch nicht einbildet, einen guten Grund zu haben.«
»Manchmal sind wir auch hinter jemandem her, weil wir darum gebeten werden, Mr. Stringer.«
»Ach ja? Und wer hat Sie darum gebeten?«
Dalziel zuckte kräftig die Schultern. Nun war es an Stringer, die Augen zum Bürofenster zu heben.
»Warum macht sie sich nur solche Sorgen um ihn?« fragte er ehrlich verwundert. »Ein Versager, der ihr nur Kummer gemacht hat.«
»Und ein Kind«, sagte Dalziel. »Sie würden Ihren Enkel nicht missen wollen, oder? Wenigstens den verdanken Sie ihm!«
»Gar nichts verdanke ich ihm!« sagte Stringer heftig. »Nichts! Müssen Sie ihr unbedingt erzählen, daß ich ihn in London gesehen habe?«
»Würde Sie das stören?«
Stringer dachte einen Augenblick nach. Er sah alt und niedergeschlagen aus. »Nein, Sie haben recht. Warum sollte so etwas … so etwas Banales … Glauben Sie an Gott, Mr. Dalziel?«
»Als allerletzte Zuflucht«, sagte Dalziel.
»Was? Na ja. Nun, für mich ist Gott die erste, die letzte und die einzige Zuflucht. Ich habe versucht, ein anständiges Leben zu führen.
Ich habe immer geglaubt, wenn man das tut, könnte nichts passieren, was nicht passieren sollte. Ich meine damit nicht, daß ich
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