Mord auf Widerruf

die Kanone macht mich ganz fertig. Ist sie wirklich geladen?«
    Die Erwähnung der Waffe brachte nun wiederum mich aus der Fassung. Ich wußte natürlich, daß Gail Feuerwaffen hatte, war aber davon ausgegangen, daß sie sicher im Mid-Yorkshire-Schießclub eingeschlossen waren, bei dem sie Mitglied war. Als Waterson meine Reaktion sah, machte er sofort ein wirklich besorgtes Gesicht. Das war merkwürdig. Eigentlich hätten wir einander an die Kehle springen müssen. Statt dessen zogen wir, zumindest zeitweilig, aus Sorge um Gail an einem Strang.
    Wir gingen zusammen nach oben. Vielleicht war das ein Fehler, denn als Gail uns sah, brach sie in Gelächter aus und faselte etwas von all den nutzlosen Männern in ihrem Leben, die unter einer Decke steckten, und daß der einzige anständige Mann, den sie gekannt habe, tot sei. Sie war betrunken und saß nackt auf dem Bett. In den Händen hielt sie einen Revolver. Ich bat sie, ihn mir zu geben. Sie lachte wieder auf und hielt sich die Mündung ans Kinn. Ich forderte sie auf, keinen Blödsinn zu machen. Es war nicht unbedingt die klügste Bemerkung, aber mir fiel nichts Besseres ein. Sie lachte immer schriller und schriller, und mir kam es so vor, als würde sie langsam am Abzug ziehen. Und da sprang ich auf und entriß ihr die Waffe.
    Was dann geschah, kann ich nicht genau sagen, nur, daß der Revolver losging, ich im Zimmer stand, ihn in der Hand hielt, Gail mit zerschossenem Kopf ausgestreckt auf dem Bett lag und irgendwann später, ich weiß nicht, wie viel später, Mr. Dalziel ins Zimmer kam.
    Dieser schreckliche Unfall hat mein Leben zerstört. Ich habe meine Frau geliebt. Ich bin mir sicher, daß es die schrecklichen Schuldgefühle und die Trauer um den Tod ihres Vaters waren, die sie dazu trieben, Trost in der Untreue zu suchen. Und ich weiß, daß wir unsere Ehe allem zum Trotz wieder eingerenkt hätten.
    Unterschrift: Philip Swain
    »Nun«, sagte Dalziel, »was hältst du davon?«
    »Ich weiß nicht recht«, entgegnete Pascoe gedehnt. »Es kommt mir sehr … seltsam vor.«
    »Natürlich ist es verdammt seltsam. Das haben Märchen so an sich! Was er noch immer nicht gerafft hat, ist, daß ich ihn mit der Waffe in der Hand gesehen habe, bevor ich den Schuß hörte! Wenn wir also erst einmal Mr. Watersons Fassung vorliegen haben, steht es eins zu zwei, und dann wird sich der Wurm schon winden!«
    Das beruhigte Pascoes ungutes Gefühl jedoch gar nicht. Doch unter keinen Umständen wäre es ihm recht gewesen, wenn er den Eindruck gemacht hätte, Dalziels Triumph trüben zu wollen, und so hielt er den Mund und gab sich alle Mühe, Dalziel beglückwünschend anzulächeln. Es gelang ihm aber nicht recht, denn der sagte: »Junge, du hast dich nicht geändert. All die Wochen im Bett, die du mit dir selbst spielen mußtest, haben dich wahrscheinlich sogar noch ein ganzes Stück zurückgeworfen. Was du nun brauchst, ist gutes, festes Fleisch, damit sich dein Magen wieder auf solide Kost einstellt. Ich habe genau das Richtige für dich. Fußball-Hooligans.«
    Er musterte Pascoe selbstgefällig und wurde von diesem mit einem erstaunten Blick bedacht. Die großen Vereine im Westen und Süden Yorkshires konnten sich mit einem ordentlichen Anteil fanatischer Anhänger brüsten, aber City, der einzige Liga-Verein in Mid-Yorkshire, der sich zudem seit Jahren auf den unteren Rängen tummelte, war selten ein Herd ernsthafter Krawalle gewesen.
    »Von Problemen habe ich in der Zeitung gar nichts gelesen«, sagte Pascoe. »Und außerdem fällt das sowieso in den Zuständigkeitsbereich der Bereitschaft.«
    »Mord nicht!« sagte Dalziel grimmig. »Vorletzten Samstag verschwand ein junger Mann, der seine Freundin in London besucht hatte, auf dem Heimweg nach Peterborough. Man fand ihn am nächsten Morgen mit gebrochenem Hals am Fuß einer Böschung in der Nähe von Huntingdon.«
    »Traurig, aber was hat das mit uns zu tun?«
    »Nicht so voreilig. An jenem Tag hatte City im Norden Londons gespielt, und anscheinend hat es Beschwerden über City-Anhänger gehagelt, die sich in dem Zug zusammengerottet hatten, den der Tote von King’s Cross aus nahm.«
    »Aber Sie haben doch gerade selbst gesagt, er habe sein Mädchen besucht und nicht das Fußballspiel. Warum sollten sich die Rowdys ausgerechnet ihn ausgesucht haben?«
    »Seine Augenfarbe wäre für einige dieser Schwachköpfe schon eine ausreichende Provokation gewesen«, erklärte Dalziel. »In seinem Fall war es wohl eher die Farbe