Mord auf Widerruf
sie bereits mit unverhohlenem Interesse an. Pascoe konnte ihnen keinen Vorwurf machen. In Mid-Yorkshire wurde man nicht oft Zeuge eines sexuellen Übergriffs auf einen wehrlosen Polizisten.
Er sagte: »Okay, wessen bin ich schuldig?«
»Wir haben ihn, Pete! Er hat gesagt, daß er mitmacht. Halleluja! Ich habe meinen lieben Gott gefunden!«
»Hat er wirklich ja gesagt?« fragte Pascoe ungläubig.
»Ich mußte ein klein wenig nachhelfen«, grinste sie. »Doch wir haben den dicken Fisch an der Angel. Und ich wollte mich bei dir bedanken, Pete. Ohne dich hätte ich gleich einpacken können.«
»O nein«, sagte Pascoe mit Nachdruck. »Ich kann absolut gar nichts dafür!«
»Keine falsche Bescheidenheit, mein Lieber.«
Eileen Chung sank ein wenig in Pascoes Bewunderung. Eine Regisseurin der obersten Riege hätte den Unterschied zwischen Bescheidenheit und purer Panik erkennen müssen.
»Begleite mich ein Stück«, bat sie. Die Art, wie sie seinen Arm packte, erstickte die Möglichkeit einer Ablehnung im Keim. »Ich bin auf dem Weg zum Münsterplatz, um es dem Stiftsherrn beizubringen. Es scheint, daß er die alberne Vorstellung hegt, er sei für die Rolle auserkoren, und wir wollen doch nicht, daß er schmollt, was?«
Nach wenigen Schritten ließ sie ihn wieder los, weil sie zum Reden die Arme brauchte, aber er versuchte nicht zu entkommen. Sie versprühte eine solche Vitalität, daß man schon ein gewaltiger Langweiler sein mußte, wenn man sich der warmen Ausstrahlung ihrer Persönlichkeit entziehen wollte.
Sie sprach über die Mysterienspiele und welche Pläne sie hatte, und es dauerte eine Weile, bis es Pascoe gelang, sich so weit von ihrem ansteckenden Enthusiasmus zu distanzieren, daß er sagen konnte: »Ich verstehe nicht recht, warum du so scharf auf diese Spiele bist. Ich hätte gedacht, daß sie so ungefähr jeden Ismus verkörperten, über den du dich jemals geärgert hast. Ich kann nachvollziehen, daß du, um deine eigenen Ideen rüberzubringen, Shakespeare inszenierst, aber dieses Zeug ist doch mit Sicherheit ziemlich spröde, oder?«
Sie versetzte ihm einen Stoß. Er mochte als spielerischer Knuff gemeint gewesen sein, aber die Rippen, die ihn abbekamen, fühlten sich an, als würden sie nun in eine Jacke Größe 46 statt 52 passen.
»So siehst du mich also, als predigende Polemikerin? Nun, vielleicht hast du ja recht, aber an erster Stelle geht es um das Stück, Pete, Rattenfänger bin ich erst an zweiter Stelle. Mit den Mysterienspielen hat alles begonnen, das sind die Wurzeln, hier beginnt das moderne europäische Theater–«
»Ich dachte, die Griechen –«, fiel Pascoe ihr tölpelhaft ins Wort.
»Das war dasselbe, starb aber aus und mußte von neuem beginnen, diesmal in
unserer
Gesellschaft, mit
unserer
Psychologie,
unserer
Meteorologie,
unseren
Göttern; und entwicklungsgeschichtlich können wir uns in einem früheren Stadium einklinken als das klassische griechische Drama.«
»Das klingt sehr … europäisch«, sagte Pascoe vorsichtig.
»Was soll das heißen, Mann?« zog Eileen ihn auf. »Laß dich nicht durch die Schlitzaugen täuschen. Mein Papa brachte meine Mama aus Malaya mit, und dieses kleine Mädchen ist, ob du es nun glaubst oder nicht, in Birmingham aufgewachsen.«
Der Gedanke löste ein fröhliches Lachen bei ihr aus. Wo die Unvereinbarkeit lag, war sich Pascoe nicht sicher, aber er mußte ebenfalls lachen.
Inzwischen waren sie an seinem Parkplatz vorbeigegangen und standen am Eingangstor zum Münsterplatz.
Pascoe blieb stehen und sagte fest: »Ich gehe keinen Schritt weiter. Du kannst deinem Stiftsherrn ohne meine moralische Unterstützung den Zahn ziehen, den du ihm ziehen willst.«
»Und wenn ich einen Polizisten brauche, blase ich auf meiner Trillerpfeife«, sagte Eileen Chung. »Aber geh noch nicht gleich. Komm mit mir in die Kathedrale, ich will dir etwas zeigen.«
Noch einmal wurde er davongewirbelt, diesmal aus der eisigen Winterluft in die noch kältere, jahreszeitenlose Atmosphäre der großen Kirche. Bis auf einige schattenhafte Gestalten, von denen Pascoe hoffte, daß es Menschen waren, die da durch das Seitenschiff huschten, war sie leer. Sein Agnostizismus hielt der demutgebietenden Macht des pulsierenden Raumes nicht stand, aber Eileens Flamme brannte hell genug, um es mit allem aufzunehmen, was ihr hier das Wasser reichen konnte. Sie führte ihn zum Chor und forderte ihn auf, sich zu bücken und die Schnitzereien unter den Miserikordien des
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