Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord auf Widerruf

Mord auf Widerruf

Titel: Mord auf Widerruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
Chorgestühls zu betrachten. Da waren Figuren, einzeln und in kleinen Gruppen, alle zierlich ausgearbeitet, die ihrem Handwerk nachgingen oder musizierten. Gerber, Kesselflicker, Hirten und Jäger; Menschen, die Flöte spielten und trommelten, Schalmeien bliesen und die Zither schlugen; Tänzer und Würfelspieler, Akrobaten und Pantomimen.
    »Die Schnitzer kannten diese Leute aus eigener Anschauung, wußten, daß sie so wichtig und unvergänglich waren wie alles andere in dieser Kirche. Ich mache keine brave historische Rekonstruktion, Pete. Ich greife eine Tradition auf, die immer fortbestanden hat. Komm mit, in der Pliny Chapel ist noch mehr zu sehen.«
    Doch als sie die Kapelle betraten, stellten sie fest, daß sie nicht leer war. Der winzige, nach Sir William de Pliny benannte Raum, in welchem ein Grabmal mit einer lebensgroßen Statue von Sir William und seiner Gemahlin mit einem kleinen Hund zu ihren Füßen stand, war für Betende reserviert. Am Fußende des Grabmals stand gesenkten Hauptes eine Frau. Pascoe hielt auf der Schwelle inne, doch Eileen Chung ging geradewegs hinein. Einen Augenblick empörte er sich innerlich über ihre dreiste Unsensibilität, doch dann hörte er sie sprechen und erkannte, daß sie alles andere als unsensibel war.
    »Mrs. Horncastle, ist alles in Ordnung?«
    Er erkannte die Frau erst, als sie aufsah. Doch in dem kurzen Moment, bevor sie die Fassung wiedergewonnen und ein höfliches Lächeln aufgesetzt hatte, konnte er sich davon überzeugen, daß Chung zu Recht besorgt gewesen war.
    »Miss Chung. Wie geht es Ihnen?« sagte sie.
    »Gut. Ich frage Sie: Wie geht es
Ihnen

    »Oh, machen Sie sich keine Sorgen um mich. Wirklich, auch mir geht es gut.«
    »Sie sahen so aufgelöst aus«, sagte Eileen Chung ohne Umschweife.
    »Ach ja? Das ist möglich. Es ist albern. Lachen Sie nicht, aber es liegt an dem Hund.«
    »Dem Hund?«
    »Ja.« Sie legte ihre Hand auf den Kopf des Messinghündchens und streichelte es.
    »Ich hatte einmal einen Hund, der diesem sehr ähnlich war, einen kleinen Terrier, Sandy hieß er. Er ging Eustace auf die Nerven. Nun ja, wenn man es genau nimmt, konnte er ganz schön ungezogen sein. Und wenn er einen Spaziergang machen wollte, sprang er hoch, leckte mir das Gesicht ab, rannte zur Tür und sprang zum Türknopf hinauf, wie um die Tür zu öffnen. Manchmal zerkratzte er dabei die Farbe, und Eustace wurde furchtbar wütend. Aber es war doch nur Farbe, nicht wahr?«
    »Das würde ich allerdings auch sagen«, sagte Eileen Chung mit ernster Miene. »Was geschah mit Sandy?«
    »Er kam um. Irgendwie gelang es ihm, sich davonzumachen, und er lief vom Münsterplatz auf die Hauptstraße und wurde überfahren. Die Leute sagten, ich solle mir einen anderen zulegen, aber Eustace sagte, es wäre töricht, noch einmal zu riskieren, daß ich mich wegen eines dummen Tieres so aufrege, und so habe ich es nicht getan. Mir war häufig aufgefallen, wie sehr der Hund der Plinys meinem Sandy ähnelt – zumindest in meinen Augen. Eustace sagt, daß ich mir die Ähnlichkeit einbilde. Aber sie
sind
sich ähnlich.«
    Plötzlich lachte sie und sagte: »Haben Sie Träume, Miss Chung?«
    »Sie meinen, Dinge, die ich erreichen will oder so?«
    »O nein, das habe ich schon lange aufgegeben. Ich meine Träume, wenn Sie schlafen. Ich nehme an, Sie träumen. Wer tut das nicht? Es hat nichts zu bedeuten. Nun, ich hatte auch einen Traum, nur daß ich ihn zwei- oder dreimal hatte, und die Wiederholung läßt doch auf eine gewisse Bedeutung schließen, nicht? Ich träumte, ich wachte auf, konnte mich aber nicht bewegen, und nach einer Weile erkannte ich, daß ich aus Messing war. Wie Lady Pliny hier lag ich auf unserem Grab, mit Eustace aus Messing neben mir. Und obwohl ich aus Messing war, war es so kalt, so bitterkalt, daß sich mein ganzes Wesen unter der Kälte zusammenkrampfte, und ich wollte vor Todesangst schreien, aber das ging nicht, weil ich aus Messing war. Da fühlte ich, wie sich etwas an meinen Beinen bewegte und immer höher kam, bis plötzlich etwas Warmes, Feuchtes mein Gesicht berührte und mir klar wurde, daß der kleine Hund zu meinen Füßen mich ableckte. Allmählich breitete sich die Wärme seiner Zunge in meinem Körper aus, bis ich mich schließlich wieder bewegen konnte. Was für Schmerzen mir die ersten Bewegungen bereiteten! Ich war wie eine arthritische Alte, wackelig, schwach, unsicher. Ich sah mich um, und meine wenigen Kräfte verließen mich erneut. Ich lag nicht

Weitere Kostenlose Bücher