Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
wütend werden und verletzt reagieren würde - mehr verletzt als wütend, eigentlich. Ich war völlig überrascht, dass er so ausrastet und das alte Gewehr vom Haken reißt.«
Ein Mädchen mit strähnigen blonden Haaren und einem Metallstift durch eine Augenbraue stand hinter der Kasse des Tankstellen-Minimarkts, als Ian Carter den Laden betrat. Sie kassierte gerade Geld von einem Kunden. Pascal war nirgendwo zu sehe. Carter starrte nach oben zu der mit Klebeband über dem Loch in der Decke befestigten Plastikplane, während er darauf wartete, dass der Kunde ging.
Er fragte sich, ob Pascal überhaupt da war oder ob er inzwischen so viel Angst hatte, dass er sich nicht mehr in sein eigenes Geschäft traute, und das, obwohl Pete Sneddon noch in Polizeigewahrsam saß. Der Farmer würde später einem Friedensrichter vorgestellt werden, welcher den Fall direkt an ein Gericht der Krone weiterleiten würde. Ob Sneddon später auf Kaution wieder freikam, war eine ganz andere Frage. Angesichts seiner Verantwortung gegenüber den Tieren auf seinem Hof - gut möglich. Die Schrotflinte war konfisziert worden. Zurzeit musste die unglückselige Rosie Sneddon die Farm ganz alleine bewirtschaften, mit nichts als der Hilfe eines alten Farmers aus der Gegend, der sich längst zur Ruhe gesetzt hatte. Er war großmütig hinter dem Ofen seines behaglichen Ruhestandsbungalows hervorgekommen, um sich noch ein letztes Mal dem Leben auf einem Hof zu stellen und im Lehm herumzutrampeln.
Endlich war der Kunde gegangen, und Carter trat zum Tresen, um dem Mädchen seinen Ausweis zu zeigen und nach Pascal zu fragen. Zuerst starrte das Mädchen unempfänglich auf den Ausweis, dann mit der gleichen Miene auf die Person dahinter. Schließlich erklärte sie unter großen Mühen, dass Mr. Pascal in seinem Büro war.
»Ich gehe selbst, keine Sorge«, sagte Carter. Pascal musste sich in einer verzweifelten Lage befinden, dass er dieses Mädchen nicht nur in seinen Laden, sondern sogar hinter die Kasse stellte.
Leichte Panik huschte über ihre Gesichtszüge. »Aber es ist privat!«, sagte sie.
»Ich bin dienstlich hier«, antwortete Carter so langsam und deutlich, wie er konnte.
»Ich weiß nicht«, sagte das Mädchen.
»Ich schon«, sagte Carter.
Pascal empfing seinen Besucher mit einem Ausdruck von trübseliger Resignation, gepaart mit nicht geringer Nervosität.
Dazu hast du auch jeden Grund, mein Freund!, dachte Carter. Es ist absolut nicht dein Verdienst, dass Sergeant Morton nicht schwer verwundet oder sogar tot ist.
»Wie geht es Ihrem Kollegen?«, fragte Pascal in diesem Moment, als hätte er Carters Gedanken gelesen. »Dem Police Sergeant?«
»Er ist wohlauf«, erwiderte Carter knapp.
»Ich hatte keine Ahnung, dass Pete mit einem Gewehr in den Laden stürmen würde, um mich über den Haufen zu schießen!« Seine Nervosität wich einem quengeligen Trotz. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob die Versicherungsgesellschaft für das Loch in der Decke aufkommen wird oder nicht.«
Carter ignorierte die letzte Bemerkung. Indem er mit dem Kopf in Richtung Kasse nickte, erkundigte er sich: »Diese junge Frau ist nicht Miss Wilson, nehme ich an?«
Pascal blickte womöglich noch trübseliger drein. »Nein. Maureen hat gekündigt. Sie sagt, sie glaubt nicht, dass sie je wieder hier arbeiten kann. Sie würde sich nicht mehr sicher fühlen. Ich habe zu ihr gesagt, hör zu, Pete ist im Moment eingesperrt, die Cops haben sein Gewehr beschlagnahmt - außerdem hatte er ja wohl nicht vor, den Laden auszuräumen. Es war eine rein persönliche Sache. Vergeblich. Sie wollte nichts hören. Ich musste jemand anders einstellen - und zwar schnell!«, fügte er hinzu, als müsste er sich rechtfertigen für jede Kritik, die Carter möglicherweise gegen seine neue Angestellte vorzubringen gedachte.
»Das überrascht mich nicht«, sagte Carter. »Es war ein äußerst haariger Augenblick. Es war reines Glück, dass niemand verletzt wurde.«
Pascal war in Gedanken immer noch bei seinem Personalproblem. »Vielleicht ändert Maureen ihre Meinung noch einmal, wenn sie ein wenig Zeit hatte, um über ihren Schreck hinwegzukommen«, murmelte er niedergeschlagen. Er sah nicht aus, als hätte er viel Zuversicht, was diesen Wunsch anging.
Carter andererseits hatte kein Interesse an Pascals Personalproblemen. »Sie und Mrs. Sneddon haben Balaclava House für eine Serie privater Stelldicheins benutzt, während der Besitzer, Mr. Bickerstaffe, nicht zu Hause war«,
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