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Mord im Atrium

Mord im Atrium

Titel: Mord im Atrium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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schon früher verlassen, total hysterisch nach der Operation. Sie hatte fünf Stunden gedauert, während derer Mama, die gewöhnlich wie eine verrückte Fliege herumschwirrte, auf ihrem Korbstuhl sitzen und absolut stillhalten musste. Das war ihr bestimmt schwergefallen, selbst ohne den Mann, der ihr mit Nadeln im Auge stocherte. Betäubungsmittel hatte sie abgelehnt. Niemand hatte auch nur den Vorschlag zu äußern gewagt, sie am Stuhl festzubinden.
    Natürlich hatte Mama alles mit Entschlossenheit durchgestanden, hatte sogar auf ihr übliches finsteres Gesicht verzichtet. Der Okulist war über ihre Fähigkeit erstaunt gewesen, still wie Marmor dazusitzen. Anscheinend hielt er sie für eine liebe alte Dame. »Beim Jupiter, Maia, wie habt ihr das geschafft, den einzigen blinden Okulisten Roms zu finden?«
    Vorgesehen war, heute nur den einen Katarakt mit der Starstichnadel zu stechen, doch Mama hatte darauf bestanden, dass der Mann beide stach. Meine Schwester glaubte, unsere Mutter befürchtete, für ein zweites Mal den Mut nicht wieder aufzubringen. Sie wollte sehen können. Sie verabscheute es, nicht fähig zu sein, auf alle ein grimmiges Auge zu haben. Außerdem hatte der Okulist gesagt, sie sei die erste Patientin, die beide Operationen an einem Tag bewältigen würde. Tja, das ersparte ihm einen zweiten Besuch. Mama musste da schon schwach geworden sein. Sie fiel darauf herein.
    Selbst Maia sah jetzt abgespannt aus, aber sie würde noch über Nacht hierbleiben. Mama ruhte sich aus. Ich schaute bei ihr hinein. Sie lag auf dem Rücken, die Hände ordentlich auf der Taille, die Lippen eine gerade Linie. Das deutete darauf hin, dass jemand sein Fett abkriegen würde. Allerdings bedeutete es nichts. Sie sah immer so aus, wenn sie mich anschaute. Lammwolltupfer bedeckten beide Augen, daher würde ihr jemand bei allem helfen müssen, bis die Dinger entfernt wurden.
    »Wo ist …« Ich wirbelte zu Maia herum. Wo war Ganna?
    »Oh, wir wussten alle, dass du hier diese mysteriöse Frau untergebracht hattest«, höhnte meine Schwester. »Allia ist zu ihr reingestürmt. Du weißt ja, wie Allia ist. Sie konnte es nicht ertragen, bei der Operation zuzuschauen, und so hat sie lieber mal wieder Zoff gemacht. Galla und Allia hatten sich eingeredet, dass du dein Barbarenflittchen hier versteckt hältst, um dich heimlich mit ihr zu treffen.«
    »O ja – und Mama hätte bei diesem Seitensprung mitgemacht?«
    »Willst du die Geschichte hören? Allia trampelt rein, brüllt Ganna an, sie soll rauskommen, die Ärmel hochkrempeln und uns helfen, nach Mama zu schauen. Ganna kreischte, Allia packte sie am Haar.« Allia war schon immer eine Tyrannin und Haarezieherin gewesen. Als Kind hatte ich stets einen weiten Bogen um sie gemacht. »Woraufhin Ganna sich losgerissen hat und aus dem Haus gerannt ist. Niemand hat sie seither gesehen. Nun ja, bis auf das Büschel blonder Haare, das Allia ihr ausgerupft hat. Juno, ich hasse diese dürren kleinen bleichen Mäuse!«
    Ich fluchte. Maia (ein lebenssprühendes, energiegeladenes Mädchen mit einem Kopf voller dunkler Locken, keck hochgebunden mit einem knallroten Band) gelang es, schuldbewusst zu schauen, weil sie die Akolythin hatte weglaufen lassen. Dann kam eine zitternde Stimme aus Mamas Schlafzimmer. Sie war wach und hatte die ganze Zeit zugehört. »Ich bin nur eine hilflose alte Frau, von Schmerzen gequält. Jemand muss der armen Ganna nachlaufen!« Der Befehl wurde barsch genug erteilt.
    Ärgerlich verlangte ich nach einem Hinweis, wo ich beginnen sollte. In schwachem Flüsterton, der niemanden täuschte, nannte meine Mutter den Tempel der Diana auf dem Aventin – jungfräuliche Göttin mondbeschienener Haine, mit breiten Hüften und einem allzeit paraten Bogen und Pfeilen. Tja, das ergab Sinn. Jede Waldpriesterin würde sich bei der überheblichen Jägerin daheim fühlen. Ich hätte mich gleich zu Anfang dieses Auftrags daran erinnern sollen, dass der Tempel der Diana ein traditioneller Zufluchtsort für Entlaufene war.
    Unter Druck gesetzt, gab Mama kleinlaut zu, dass die junge Ganna regelmäßig im Tempel der Diana gebetet hatte. »Oh, zum Hades, Mama! Bist du da nicht misstrauisch geworden? Warum sollte Ganna zu Diana beten? Niemand aus Germania Libera verehrt die Zwölf Olympischen Götter!«
    Eine Erinnerung nagte an mir:
»Du hältst sie hier im Haus?«
    »Außer wenn wir unsere kleinen Ausflüge zum Markt oder zum Tempel machen.«
    »Hat sie irgendwas gesagt?«
    »Sie hat

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