Mord im Atrium
bemüht war, dem Viech die Kehle mit einem kleinen Messer aufzuschlitzen, als es uns alle umzubringen versuchte. Der Junge besaß Mut, aber von all den stümperhaften Versagern in all den sieglosesten Legionen war Lentullus der doofste, einfältigste, schusseligste und unordentlichste. Er hatte von nichts eine Ahnung. Er hatte auch kein Glück. Wenn da ein großes Loch war, mit einem großen Schild daneben, auf dem stand: Fall hier nicht rein, damit bist du gemeint, Lentullus!, würde Lentullus sich draufstürzen und mit dem Kopf voran in das Loch plumpsen. Dann würde er sich fragen, warum ausgerechnet er dieses Pech gehabt hatte. Jede Legion, der er angehörte, war hoffnungslos verloren. Manchmal hörte ich in Alpträumen seine krächzende Stimme, die keinen Ton halten konnte, ein abscheuliches und obszönes kleines Lied singen, dessen erste Strophe lautete: Wenn ich mit meinem Essensnapf zu meiner Liebsten stapf … Dann wachte ich zitternd auf. Nicht das Lied war es, das meine Schweißausbrüche verursachte.
»Und wie ich mich erinnere!«, antwortete ich ihm. »Hast du inzwischen das Marschieren gelernt?«
»Nein, hat er verdammt noch mal nicht!«, murmelte Clemens erbittert.
Ich hatte bereits ein mulmiges Gefühl. Mein Haus hatte sich in eine Szene aus einem mythischen Alptraum verwandelt. Dann lächelte Helena grimmig und teilte mir mit, meine Schwiegermutter sitze in unserem besten Empfangszimmer, sei in übelster Laune und wolle mich sprechen.
»Komisch, dass Sie sich an mich erinnern«, brabbelte Lentullus. Er hatte noch nie kapiert, wann man besser die Schnauze hält. »Weil Veleda mir erzählte, sie würde sich ebenfalls an mich erinnern! Ich hatte gehofft, wenn wir alle nach Rom kommen, würde ich Sie wiedersehen, Falco – und den Tribun auch …«
Der »Tribun« war Quintus Camillus Justinus. Und während ich sicher war, dass der leutselige Justinus entzückt wäre, Lentullus wiederzusehen, bestand meine nächste Aufgabe darin, zu verhindern, dass Julia Justa, meine Schwiegermutter – eine unverblümte Frau, deren Hörvermögen fast so gut war wie das meiner Mutter –, etwas von einem Soldaten in meinem Haus mitbekam, der ihr erzählen konnte, was ihr Lieblingssohn damals im Wald mit Veleda angestellt hatte.
IX
H ätten die Soldaten nicht mehr gewusst, als gut für mich war, dann hätte ich sie vielleicht als Eskorte mit hineingenommen. Ich bemühte mich, wie ein Junge ins Zimmer zu schlendern, der ein reines Gewissen hat. Zwanzig Jahre Übung hätten mich lehren sollen, dass so ein Auftritt lächerlich ist. Meine Schwiegermutter war auf jemandes gehackte und gebratene Leber aus – und das warme Brot war bereits aufgeschnitten, um mit meiner belegt zu werden. Sie wurde von ihrer Schwiegertochter Claudia Rufina begleitet, und falls mich die Felsen nicht erschlugen, würde der Strudel sein Übriges tun.
Die edle Julia Justa, Ehefrau des vortrefflichen Decimus Camillus Verus, war eine römische Matrone mit den vollen Rechten einer Mutter von drei Kindern, eine Teilnehmerin an den Ritualen der Bona Dea, die Wohltäterin eines kleinen Tempels in Bithynien und die Vertraute einer der älteren, schlichteren, kratzbürstigeren Vestalinnen. Sie hätte ein ruhiges Leben im Luxus erwarten können. Angesichts dessen, dass sich ihr Mann nach Möglichkeit um seine Verantwortlichkeiten herumdrückte, ihre beiden Söhne alle Aufforderungen missachteten, auf respektable Weise häuslich zu werden, und ihre Tochter einen Privatschnüffler geheiratet hatte, wirkte Julia niedergeschlagen. Nur ihre kleinen Enkelkinder gaben ihr Hoffnung – und eines davon war jetzt in Gefahr, von seiner wütenden Mutter eilends nach Baetica entführt zu werden.
Julia Justa besaß Gewänder in allen Farbtönen auf der Färbeskala der Walker, hatte sich jedoch entschieden, in strahlendem Weiß zu kommen, das herausposaunte, sie wäre nicht in der Stimmung für irgendwelchen Schwachsinn. Ausgesuchter Schmuck verlieh ihren Kleidungsstücken Halt, während sie im Salon auf und ab fegte. Julias Halskette, die Ohrringe und der Kopfputz waren schwer von indischen Perlen in beeindruckender Größe und schimmernd guter Qualität. Vielleicht ein verfrühtes Saturnaliengeschenk, dachte ich. Vielleicht das Geschenk von der Frau ihres jüngeren Sohnes, der äußerst wohlhabenden Claudia Rufina. Sie war die Einzige dieser Familie, die wirklich Geld hatte, und die Camilli – obwohl bescheidene Menschen – wollten unbedingt, dass sie
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