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Mord im Atrium

Mord im Atrium

Titel: Mord im Atrium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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alles, was er besaß. Als er aufwachte, war er nackt, voller Wunden und zu Tode verängstigt.
    Jetzt bewegten wir uns. Nicht bereit, noch länger an einer Stelle zu stehen, stapfte er unruhig los. Ich folgte ihm. Er redete wie ein Wasserfall, als müsste seine Geschichte erzählt werden, bevor er vollkommen aus dem Leben verschwand. Er zuckte und wand sich; vielleicht linderte Bewegung seine Schmerzen oder ließ ihn den Hunger vergessen.
    Er erzählte mir, dass er Zuflucht in einem öffentlichen Park gefunden hatte. Zwei Männer, die in einem zerbrochenen Handkarren unter einem Oleanderbusch hausten, hatten ihm geholfen, sich auszuheilen und eine neue Tunika zu finden. Ich nahm an, dass sie die für ihn gestohlen hatten. Barfuß hatte er überlebt, jedoch sein Selbstvertrauen verloren, und war hierhergekommen, um außerhalb der Stadt zu leben, da er Angst hatte, dass man ihn in Rom erneut im Schlaf überfallen würde. Gelegentlich hatte er Arbeit gefunden und im Straßenverkauf Wäscheklammern oder Pasteten verhökert, aber auch das war ein armseliges Leben, da die Vermittler, die diese Straßenverkäufe organisierten, den größten Teil des Gewinns für sich beanspruchten und ihre Verkäufer nach Möglichkeit übers Ohr hauten, weil sie wussten, dass die Männer verzweifelt waren und außerhalb des Gesetzes standen. Das struppige Aussehen und die dreckige Kleidung des Flüchtlings hinderten ihn daran, andere Arbeit zu finden. Wenn er einen Glückstreffer hatte und Geld auf der Straße fand, kaufte er gestohlene Waren zum Wiederverkauf, wurde aber sogar von den Dieben betrogen, die ihm ansprechende Vasen zeigten, sie dann jedoch heimlich austauschten und ihm stattdessen wertloses Zeug gaben. Also verlor er das Geld, das er gefunden hatte, und fühlte sich getäuscht.
    Hier draußen verschlief er den Tag und streifte dann durch die Stadt. Nachts war es überall gefährlicher – vor allem bestand das Risiko, von den Vigiles verhaftet zu werden –, aber es gab mehr Abfall, den man durchwühlen konnte, und eine geringere Wahrscheinlichkeit, von einem »angesehenen« Bürger entdeckt und ausgeliefert zu werden. Mutmaßliche Entlaufene wurden vor den Präfekten der Vigiles geschleppt, ihre Beschreibung wurde verbreitet, und ihr alter Besitzer hatte das Recht, sie zurückzufordern. Alle Möglichkeiten waren schlecht. Sobald ein Entlaufener einem tyrannischen Herrn zurückgegeben wurde, waren brutale Auspeitschungen und andere grausame Bestrafungen unvermeidlich. Wenn sich niemand meldete, wurde ein Entflohener zum Staatssklaven, was zermürbende Arbeit auf dem Bau bedeutete, Säubern von Latrinen oder Kriechen in enge, rauchige Hypokausten, um die Asche auszuleeren. Es konnte sogar dazu führen, in die Minen abtransportiert zu werden. Mit Sklavenarbeit in den Minen kannte ich mich aus. Das überlebten nur wenige.
    Dieser Mann befand sich in einer abwärtsführenden Spirale. Hunger und Kälte töteten ihn, unterstützt von Mangel an Lebensfreude und Hoffnungslosigkeit. Er war dünn. Seine Haut war grau. Er hatte einen blutigen Husten, der ihn innerhalb von Monaten dahinraffen würde. Ich riet ihm, zum Tempel des Aesculapius zu gehen, doch das lehnte er aus irgendeinem Grund ab.
    »Du weißt, dass die sich um Sklaven kümmern?«
    »Oh, die laufen herum und versorgen Leute auf der Straße.« Das sagte er in einem seltsamen Ton, als würde er die Angestellten des Tempels verachten. Er hatte eindeutig kein Vertrauen zu Freundlichkeit. Was man auch von Architekten halten mag, er musste einst vernunftbegabt gewesen sein, um die Arbeit für seinen ersten Herrn erledigen zu können. Entbehrungen hatten ihm das Denken geraubt; er konnte sich nicht mehr selbst helfen. Beinahe wirkte es so, als wollte er das auch gar nicht mehr.
    Ich gab ihm ein wenig Geld. Er zögerte, in seinem Stolz getroffen, schnappte es sich dann aber und überschlug sich auf peinliche Weise vor Dankbarkeit. Sein Dank war so übertrieben, dass ich ihn verdächtigte, sich über mich lustig zu machen. Dann fragte ich ihn, ob er Veleda gesehen habe. Er verneinte. Ich wurde mir nicht schlüssig, ob ich ihm glauben sollte. Er bot an, mich zu anderen mitzunehmen, die etwas über sie wissen könnten. Damit begab ich mich in Gefahr, aber wieder blieb mir nichts anderes übrig, als auf das Angebot einzugehen, statt mich mit einem verschwendeten Tag abzufinden.
    Also ließ ich mich von der Straße wegführen, in höheres Gelände, wo eine verrückte Gruppe obdachloser

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