Mord im Atrium
der andere Angst vor einem haben oder begehrlich sein. Diese abgehalfterte Kreatur war dem Untergang geweiht, und das wusste sie. Der ehemalige Architekt besaß nicht mehr das geringste Fitzelchen, das ein Individuum zu einem gestandenen Mann macht. Nur sich selber als vereint mit diesen verzweifelten Seelen zu betrachten, in der Tat ein schwaches Band, verlieh seiner gegenwärtigen Existenz überhaupt Gestalt. Sie waren brutal. Er, der einst vor dem entwürdigenden Verhalten eines Besitzers geflohen war, teilte jetzt ihre Brutalität.
Ich spürte, dass die anderen uns beobachteten. Ich spürte die unterschwellige Bedrohung.
Dann stürzte sich plötzlich jemand auf mich. Bevor ich mich dagegen wappnen konnte, wurde ich wütend mit Fäusten bearbeitet. Ich war ungehalten – und dann sehr verärgert. Ich schlug zurück, richtete mich auf, um mich professionell zu wehren, wurde aber von einem Mann, der genau das Holzscheit schwang, auf dem ich gesessen hatte, durch einen Schlag über Nacken und Schulter gefällt.
Ich wusste, dass sie mich verprügeln würden, aber zuerst hatten sie etwas Dringenderes zu tun. Ich verlor meinen Mantel, meine Tunika, die Geldbörse und den Gürtel, bevor ich Zeit hatte, mich zusammenzurollen und die Meute abzuwehren. Ich trat zu, woraufhin sie ebenfalls traten. Aber meine Angreifer waren so damit beschäftigt, mich auszurauben, dass es mich vor ernsteren Verletzungen bewahrte. Diejenigen, die traten oder zuschlugen, wurden durch andere behindert, die an meinen Kleidern zerrten und sich um diese Schätze balgten. Jemand riss meinen linken Arm hoch und zerrte schmerzhaft an dem schlichten Goldring, den Helena mir geschenkt hatte, als ich in den mittleren Rang aufstieg. Ich ballte die Faust und landete einen linken Haken in einem Gesicht. Andere wuselten um meine Beine und versuchten, meine Stiefelriemen zu lösen. Ich sträubte mich hilflos und zappelte wie ein ins Netz gegangener Fisch.
Schlagartig änderte sich die Situation. Rufe kamen aus der Dunkelheit, etwa von dort, wo die Straße sein musste. Die ganze Bande ließ von mir ab und rannte los, nicht, um zu fliehen, sondern bergab, auf die Neuankömmlinge zu. Kreischend stürzten sie davon wie ein aufgeregter Schwarm von Touristen, der eine Parade kommen hört. Wer auch immer da gerufen hatte, verschwand unter raschem Hufgetrappel.
Kaum war ich allein, rappelte ich mich auf und humpelte auf zitternden Beinen und mit schlenkernden Stiefeln von der Lichtung. Es war aussichtslos, Clemens und Sentius einzuholen oder wer da sonst auf der Straße gewesen war. Aber ich hoffte irgendwie zu entkommen. Wenn die Entlaufenen mich erneut erwischten, würden sie mich zu Tode prügeln.
Jetzt war ich allein in dieser verlassenen Gegend. Ich stolperte zur Straße. Nirgends war ein Mausoleum zu sehen. Als ich die Landstreicher wieder auf mich zuschwärmen hörte, blieb mir nur eine Möglichkeit. Ich zwängte mich in einen flachen Abzugsgraben. Mein Herz raste. Obwohl es jetzt dunkel war – von einer so vollkommenen Schwärze, wie man sie nur auf dem Land erlebt –, war ich trotzdem überzeugt, dass sie mich hier sehen konnten. Wie Wildtiere konnten sie ihre Beute vermutlich bei Nacht aufspüren.
Jeden Moment würden sie mich finden und angreifen. Ich würde in diesem Graben sterben. Ich dachte an meine Kinder. Kurz dachte ich an Helena, wenngleich sie sowieso stets bei mir war. Ich drückte mich in den Graben und fragte mich, wie lange es dauern würde, bis ich tot war.
XXVI
I ch war so überzeugt davon, gefunden zu werden, dass ich fast aufsprang und mich darauf einstellte, kämpfend zugrunde zu gehen. Doch die Vagabunden verblüfften mich. Sie schlurften auf der Straße vorbei, einzeln und zu zweit, offenbar jetzt alle auf dem Weg nach Rom. Das war ihre übliche Nachtwanderung. Ich war mir sicher gewesen, dass mir Gewalt und Entsetzen bevorstanden, aber sie hatten die Aufmerksamkeitsspanne von Spatzen. Hunger und Alkohol hatten ihnen das Hirn aufgeweicht. Sobald ich aus ihrem Gesichtskreis verschwunden war, hatten sie mich vergessen.
Lange lag ich ganz still. Ein letzter Penner kam vorbei, hoppelte ein paar Schritte, blieb wieder stehen und murmelte vor sich hin. Seine Ausdrucksweise war abscheulich. Er war voller Hass, doch weswegen, blieb unklar. Obszönitäten strömten in einem solchen Übermaß aus ihm heraus, dass sie bedeutungslos wurden. Der Mann mit der Flöte. Er begann seinen einzelnen Ton zu blasen, immer und immer wieder.
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