Mord im Atrium
war praktisch. In zehn Jahren, wenn sie sich an Liebesdichtern und albernen Romanen berauschte, konnte ich ihm die Schuld geben.
Ich ließ Zosime gehen, immer noch mit dem Gefühl, dass sie mehr wusste, als sie preisgab.
Meinen Schwiegervater zu sehen war immer eine Freude, aber wir hielten das Mittagsmahl kurz. Er war direkt von seinem gefangengehaltenen Sohn gekommen und musste noch Julia Justa und Claudia von dem Besuch berichten.
»Viel zu sagen gibt es nicht. Müßiggang war für meine Jungs noch nie ein Problem, ob erzwungen oder freiwillig. Der Gefangene lümmelt auf Kissen herum und liest. Er möchte, dass ich ihm griechische Theaterstücke schicke.« Justinus war mal leidenschaftlich in eine Schauspielerin verliebt gewesen. Das hatte uns alle beunruhigt, aber verglichen mit dem Schlamassel, in dem er jetzt steckte, kam es einem wie ein ganz normales Laster vor. Ich fragte mich, ob diese momentane Begeisterung für Literatur ein Bluff war, um den Spion in trügerischer Sicherheit zu wiegen, aber die Camilli waren tatsächlich alle sehr belesen. »Sein Gastgeber besitzt keine nennenswerte Bibliothek. Lässt sich wohl mit anderen Waren bestechen … Zum Glück habe ich Anacrites nicht zu Gesicht bekommen.«
»Zum Glück für dich?«
»Für ihn!«, knurrte Decimus.
»Sollten wir vielleicht versuchen, ihn zu bestechen?« Helena passte sich der unerwartet zynischen Haltung ihres Vaters an.
»Nein. Wir halten uns an die römischen Tugenden Geduld, Standhaftigkeit – und das Warten auf eine gute Gelegenheit, ihn in einer dunklen Nacht zusammenzuschlagen.«
Solche Sprüche kamen normalerweise von mir. Interessant, dass Anacrites selbst einen anständigen, toleranten Mann so leicht dazu bringen konnte, sich auf krudere Moralvorstellungen herabzulassen.
Helena und ich hatten ebenfalls Pläne, und sobald wir ihren Vater in aller Höflichkeit allein lassen konnten (er war so begeistert von seinen Enkelkindern, dass er sich sogar auf alle viere hinunterließ, um Elefant zu spielen), machten wir uns auf den Weg zur Villa des Quadrumatus.
»Hat dein Vater auch mit dir und deinen Brüdern Elefant gespielt, Helena?«
»Nur wenn er sicher sein konnte, dass Mama aus dem Haus und bei einem ihrer langen Treffen mit den Anhängerinnen der Guten Göttin war.« Julia Justa war Anhängerin dieses großen weiblichen Kults, zu dem Männer keinen Zugang hatten, und zu Hause wies sie den Senator in seine Schranken. Behauptete er zumindest. Seine Frau war sicherlich eine Matrone der mustergültigen, würdevollen Art. »Wenn Papa im Senat war«, verblüffte mich Helena dann, »tobte Mama manchmal mit uns herum.«
Ich blinzelte. Das war nur schwer vorstellbar. Daran zeigte sich der Unterschied zwischen einem senatorischen Haushalt und einem der Unterschicht, in dem ich aufgewachsen war. Meine Mutter hatte nie die Zeit oder Energie gehabt, mit uns zu spielen. Sie arbeitete zu schwer, um die Familie zu versorgen und zusammenzuhalten. Mein Vater war derjenige fürs Toben gewesen – doch das hatte abrupt geendet, als er uns verließ.
Ich fragte mich, wie es wohl im Haus von Quadrumatus zuging. Sie waren so reich, dass sie vermutlich fünfzehn Sklaven abstellten, nur um auf zwei Vierjährige aufzupassen, die sich ein Bohnensäckchen zuwarfen.
Das klingt wie Tagträumerei, aber es hätte bedeutungsvoll für Scaevas Tod sein können. In so einem Haushalt würde ein junger Mann nie allein sein. Reinigungskräfte, Sekretäre, Leibdiener, Haushofmeister würden ihm ständig auf den Fersen sein. Angenommen, Scaeva hätte sich um ein Treffen mit Veleda bemüht, dann hätte das im Beisein von Sklaven stattgefunden, die ihm einen Imbiss und Getränke brachten, Wasserschüsseln und Handtücher reichten, Briefe und Einladungen. Jedes Stelldichein wäre von Blumensteckerinnen beobachtet worden, die Vasen mit makellosen Winterblumen füllten – und natürlich von dem Flötenspieler. Wenn Gratianus Scaeva jemals ein wirklich intimes Rendezvous hätte abhalten wollen, würde er mit der Forderung nach Ungestörtheit Aufmerksamkeit darauf gelenkt haben.
Kein Wunder, dass sein Schwager Quadrumatus mir versichert hatte, Scaeva sei so wohlerzogen. Keiner konnte unter solchen Bedingungen eine Tändelei anfangen. Mich hätte es verrückt gemacht.
Möglicherweise war Scaeva darüber frustriert gewesen. Vielleicht hatte er seinen Arzt Mastarna wegen seines angeblich wieder aufflammenden Katarrhs nur kommen lassen, weil seine Krankheit in
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