Mord im Bergwald
dem du leben kannst? Ich meine, das geht doch nun schon ein paar Jahre mit deinem Fernlover?« Noch immer war es ehrliches Interesse, keine Provokation.
»Weil ich einen saublöden Job hab, um Männer kennenzulernen. Die meisten sind Verdächtige oder Zeugen, kein guter Start in eine Beziehung, oder?«
Kathi lachte. »Nein, das stimmt. Wobei du bei diesem Vitus Weingand einen echten Stein im Brett hast, oder. Wär das nix? Ich meine, du müsstest ihn nur etwas freischneiden.«
Irmi stimmte ein. Befreit. Es war das erste Mal, dass sie mit Kathi wie mit einer Freundin lachen konnte. »Danke, lass mal. Ein guter Typ, aber mehr auch nicht.« Dann wurde sie wieder ernst. »Und was machst du jetzt, Kathi?«
»Ich muss das beenden. Er schadet mir. Er tut mir weh. Oder nein, nicht mal er. Die Situation tut mir weh. Er wird sich nie trennen. Und lieben tut er mich auch nicht. Weil er es nicht zulässt.«
Ja, so waren die Männer. Sie konnten Gefühle ausblenden, verdrängen, alles aussitzen an Stammtischen und in Schafkopfrunden. Sie waren gut darin und damit um so vieles ärmer.
»Flüchte, so schnell du kannst. Es wird nur schlimmer«, riet Irmi. »Schaffst du das?«
»Ich versuche es.«
»Schaffst du es auch, deinen Zorn zu zähmen? Hier bei der Arbeit?«
»Ich werde mir Mühe geben, versprochen. Mir hat der Södermann schon auch leid getan. Ehrlich. Aber da war es schon raus.« Das klang richtig kläglich.
»Gut. Kochst du uns bitte noch einen Kaffee? Und dann sehen wir uns das verdammte Kuvert an.«
Während Kathi draußen beschäftigt war, dachte Irmi über das Gespräch nach. Warum hatte sie sich nie einen anderen gesucht? Nun ja, sie hatte es ja versucht. Zwei Jahre war es schon her, und jetzt, wenn sie daran dachte, traf sie der Schmerz völlig überraschend.
Gerhard war einer von denen gewesen, die Bernhard öfter mal im Wald halfen. Sie hatte ihn immer ein wenig unzugänglich gefunden und arrogant – bis zu jenem Nachmittag, als sie allein im Holz waren und vor ihrer Brotzeit saßen. Sie hatten gar nicht viel geredet, aber Irmi spürte, dass Gerhard zweierlei unter seinem Hut und hinter seiner Fassade verbarg: Wärme und einen guten Instinkt. Sie hatte in ihm einen Freund gefunden, einige Waldtage lang, weil Bernhard sich den Arm gebrochen hatte und sie nun das tat, was sie am liebsten machte: Männerarbeit, anstelle ihres Bruders die Regie führen.
Das Ganze war anfangs recht unschuldig gewesen: ein paar SMS mit »Gute Nacht« und »PS: Ich denk an dich«. Auf einer Waldlichtung hatte Irmi gesagt: »Hier müsste man einen Räuberfilm drehen«, und er war eingestiegen in das Spiel. »Werte Dame, darf ich Ihr Räuberhauptmann sein?« Robin Hood und Lady Marian. Er hatte ihr galant den Arm gereicht, und sie waren den Weg entlanggeschritten, denselben, auf dem sie am Nachmittag mit der erfahrenen Stute das Holz transportiert hatten. Mit dem Bulldog wäre es schneller gegangen, aber Gerhard hatte befunden, dass er lieber das Erbe seiner Väter bewahren wollte. Dort, wo das noch möglich war.
Für solche Sätze mochte sie ihn. »Es gibt viele Formen von Liebe.« Auch das hatte er mal gesagt. Und mitten im bayerischen Hohlweg hatte er gefragt: »Gab es die Milchstraße eigentlich schon im Sherwood Forest?« »Sicher«, hatte sie erwidert und sich gefragt, ob Robin wohl auch so gut geküsst hatte. Zauberhaft, sanft, wie zufällig.
Sie war nicht falsch gewesen, diese eine Nacht mit ihm, weit entfernt von sinnlosen One-Night-Stands, die man sich lieber hätte schenken sollen. Im Schutze der Dunkelheit war immer alles ganz einfach, aber komisch im ersten Sonnenlicht. Doch bei Gerhard war es schön gewesen, dass er beim Aufwachen noch da war, eine Art sanftes Hinübergleiten vom Sherwood Forest in die Realität.
Am nächsten Morgen hatte er den Kaffee im Stehen getrunken, er war auf der Flucht gewesen, damit Bernhard ihn ja nicht entdecken sollte. In diesem Moment wusste sie, dass sie immer wieder in diese Falle tappen würde: in die Falle, zu glauben, eine Nacht würde und müsse nichts verändern. Sie hatte sich ihm nah gefühlt und wusste doch, dass er sich zurückziehen würde – als Waldarbeiter, als Robin Hood und als Freund.
Was war bloß so furchtbar daran, wenn zwei Menschen eine emotionale Bindung hatten, obwohl sie sich jenseits der Norm befanden? Und was wäre gewesen, wenn sie zwanzig Jahre jünger gewesen wäre? Hätte sie ihn dann als Beziehungspartner haben wollen, haben können? Oder
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