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Mord im Bergwald

Mord im Bergwald

Titel: Mord im Bergwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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unmittelbaren Nachbarschaft geschehen. Wo man wegsah, den Choleriker verschämt grüßte. Weil man Angst hatte, er könne einem das Haus anstecken. Wo man wegsah, wenn er brüllte und prügelte. Wo Mütter zuließen, dass auch sie geschlagen wurden, für die Illusion einer Beziehung. Für die Fassadenmalerei, fürs sogenannte Familienidyll. Für die Nachbarn, fürs Dorf – es waren nicht wenige, die immer nur fürs Ansehen lebten, nie für sich selbst.
    Irmi schluckte und versuchte, Neuner aufmunternd anzusehen. Der fuhr fort: »Naa, de Burschen ham zammg'halten. Mei, wo de no kloa warn, ham de Sachn g'macht, des glaubn S' gar ned, Fräulein!«, sagte der Mann nun an Kathi gewandt. »Und dann warn des a no so saubere Buam. Sie san a so a Saubere«, sagte er durchaus galant und strahlte Kathi an, was seine Gebissruine unter dem Blumenkohl unvorteilhaft zur Geltung brachte.
    Kathi lächelte nett, Irmi nickte.
    »Megn S' a a Bris?«, fragte er plötzlich. Sie lehnten beide dankend ab, während er eine ordentliche Prise Schnupftabak hochzog. Das schien ihn zu beflügeln. »Neulich hätt i sie bald verwechselt.«
    »Ja?«, warf Irmi ein.
    »Ja, do hot der Pius des Radl ins Auto packt und hot de Barras-Sachen von seim Bruader og'habt. An Hänger hot er auch drang'habt.«
    Irmi durchzuckte es regelrecht. Sie suchte Kathis Blick. Diese hatte die Augen weit aufgerissen. »Herr Neuner, wissen Sie das genau, dass das der Pius war und nicht der Peter? Wo die sich doch so ähnlich schaun?«, fragte sie.
    Neuner machte eine großzügige Geste. »Schaugn S', der Pius hot an Unfall g'habt beim Kraxeln. Wenn ma genau hischaugt, dann hinkt er leicht. Drum fahrt er ja a immer mi'm Radl. Maunteinbeik hoaßt des ja. Sei Radl hot er koam andern gebn. A ned seim Bruder. Des hot fünftausend Euro koscht. Des is doch narrisch. I bitt Sie, für a Radl! Naa, naa, des war der Pius.«
    »Herr Neuner, wann war das?«
    »Mei, am Dienstag vor zwoa Wochn. Ziemlich spät auf d' Nacht.«
    Das war der Tag gewesen, an dem Pius angeblich nach Tirol aufgebrochen war. Das Auto mit Pferdehänger hatten sie später gefunden. Es war der Tag gewesen, an dem er aber nicht nach Tirol zum Pferdekauf gefahren war, sondern zu Meike. Im Outfit seines Bruders! Am nächsten Tag war er auf der Alm ums Leben gekommen.
    »So, i muass gehn«, sagte Neuner, tippte sich an den speckigen Hut und radelte schwankend von dannen.
    Sie schwiegen. Irmi folgte mit ihrem Blick den Pferden, die langsam über die Wiesen zogen. Eines der Fohlen machte einen Luftsprung. Freude und Elend lagen so dicht beisammen. Manchmal so eng, dass es schmerzte.
    Schließlich sagte Kathi, nachdem sie eine ihrer dünnen Selbstgedrehten zu Ende geraucht hatte: »Dann können wir unsere Theorie des Brudermords vergessen, oder?«
    Irmi hatte sich an ihr Cabrio gelehnt. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt. »Pius hatte so eine Jacke an, okay. Entweder, er war an dem Deal beteiligt, ganz die unzertrennlichen Zwillinge ...«
    »Oder aber, er hat sich diese Jacke einfach mal zum Testen ausgeliehen. Mit oder ohne Wissen seines Bruders«, ergänzte Kathi.
    Irmi nickte. Alle Varianten schlossen aber eines aus: dass Peter seinen Bruder umgebracht hatte. Ein anderer hatte Pius auf dem Gewissen.
    Sie waren wieder am Anfang. Oder schlimmer noch: Sie agierten im Minusbereich, denn sie hatten inzwischen schon so viele Mordverdächtige ausschließen müssen. Die ganze Milchstreiksache war ins Leere gelaufen. Die Nebenbuhler um die Gunst der schönen Meike hatten zu keiner Lösung geführt. Und in der Familie wäre nur Peter infrage gekommen. Der streitbare Bartl hätte vielleicht das cholerische Temperament und den unbeugsamen Starrsinn gehabt, sogar den eigenen Sohn zu töten, wegen der Ehre, wegen der Leit – aber nicht als einseitig gelähmter Rollstuhlfahrer.
    »Sollen wir auf Afra und Bartl Fichtl warten?«, schlug Kathi vor.
    »Nein. Wir fahren.«

16
    Als sie kurz vor zwölf das Gebäude betraten, kam ihnen Sailer entgegen. »Do wart a junger Bursch in Ihrem Büro, Frau Irmgard.«
    Der »junge Bursch« entpuppte sich als der Gefreite Södermann. Er wirkte ängstlich und wühlte in einer Tour in seinen Hosentaschen herum. Hände raus, Hände rein.
    »Na, Herr Södermann! Was führt Sie zu uns?«, fragte Irmi und lächelte ihn an.
    »Frau Hauptkommissar!« Er war schon wieder nahe dran zu salutieren. Irmi wollte gerade einen jovialen Satz hinterherschicken, als sie die Panik in seinen Augen las.
    »Herr

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