Mord im Bergwald
her.«
In dem Moment, als sie das Wort »Liebe« in den Mund nahm, wurde ihr bewusst, dass es vermutlich gar nicht um Liebe ging. Oder höchstens um einseitige Liebe. Selten liebten zwei Menschen gleich innig, ohne Egoismus, ohne Forderungen, die Waagschalen waren nur sehr selten in der Balance.
Kathi schwieg noch immer.
»Kathi, was ist das Problem?«
Irmi rechnete mit einer patzigen Antwort und war umso verwunderter, als es plötzlich aus Kathi heraussprudelte: »Es war diese eigentümliche innere Bindung, weshalb ich bei ihm alle Vorsicht vergessen habe. Ich wäre im Dunkeln immer auf ihn zugelaufen, ich hätte ihn auf einem Fest zielsicher herausgesucht. Auch wenn er nicht Korbinian Kohler gewesen wäre.«
»Wer?«
»Korbinian Kohler. Er war mal vor noch gar nicht langer Zeit ein weltberühmter Fußballer. Neuerdings wohnt er neben uns. Seine Tochter ist mit Soferl befreundet.«
»Oh!« Das war das Einzige, was Irmi einfiel. Sie riss sich zusammen. »Und dieser Korbinian Kohler ist was Besonderes?«
»Ja, es lag in der Luft, und nur wir konnten es spüren. Es tat manchmal richtig weh, wenn ich ihn beobachtete und sah, wie sehr er die gleichen Fehler machte wie ich. Er war verbindlich und hatte doch Probleme, seine wahren Gefühle zu zeigen, oder. Er gab sich ruppig und ironisch, stieß eine ganze Reihe von Leuten vor den Kopf, was er hätte vermeiden können, wenn er bloß ein wenig diplomatischer wäre. Wie ich! Ich sah ihn an und spürte, wie sehr er unter Druck stand. Ich wünschte mir, ihn nur für einige Stunden zu befreien, ihm Kraft zu geben, einen Teil zu sehen zu bekommen, den andere niemals sehen werden, oder.«
Irmi war sprachlos. Solch eine Selbstreflexion hätte sie Kathi niemals zugetraut, und auch nicht, dass sie andere Menschen so aufmerksam beobachtete. Plötzlich ging ihr auf, dass sie ihr Unrecht getan hatte. Sie war einem klassischen Anfängerfehler aufgesessen: sich einmal ein Urteil zu bilden und immer nur das zu sehen, was das Urteil bestätigte. Und den Rest auszublenden. »Aber er wollte sich nicht befreien lassen?«, fragte Irmi vorsichtig.
»Nein, dabei hätte ich das nie ausgenutzt, denn wir haben eine weitere Eigenschaft: Wir sind nicht boshaft, oder, wir sind beide schnell mit dem Mundwerk, aber niemals wirklich gemein, oder? Findest du mich wirklich gemein?«
»Nein«, sagte Irmi. Und das war nicht gelogen. Kathi war nicht bewusst gemein, sie war nur unbedacht. Irmi verstand, was Kathi ihr sagen wollte. Kannte nicht auch sie diese Sekunden im Leben, in denen auf einmal alles glasklar vor ihr lag, aber wieder weg war, sobald sie danach greifen wollte? Momente, in denen ein gewaltiges Glücksgefühl herüberschwappte, eine Idee, wie das Leben sein könnte, eine Idee, wie wichtig und selten es war, jemandem so nah zu sein?
»Aber diese Nähe darf nur im Verborgenen stattfinden?«, fuhrt Irmi fort.
»Ja, ich dachte, es geht, wenn wir uns außerhalb unser beider Leben treffen.«
Ach, Kathi! Irmi fühlte sich auf einmal wie ihre Mutter oder ältere Schwester. Diese Treffen jenseits des alltäglichen Lebensflusses funktionierten bei ihr und ihm schon nicht, aber wie sollte es gehen, wenn es der eigene Nachbar war? Der Vater einer Freundin der eigenen Tochter! Die nach außen so toughe Kathi glaubte bei all ihrer stolzen und eigensinnigen Freiheitsliebe eben auch nicht an das Heil im Alleingang.
Kathi lächelte Irmi an, oder besser: sie versuchte es. »Ich weiß, was du jetzt sagen willst. Dass man Liebe nicht erzwingen kann. Dass das Timing selten stimmt. Irgend so was, oder?« Sie stockte. »Wie machst du das? Ich meine, du hast einen Freund, den du selten siehst. Der verheiratet ist. Und trotzdem bist du glücklich.«
War sie glücklich? Manchmal ja. Sie war leiser geworden und weniger fordernd. War das ein Rezept für Glück? Und was sollte sie Kathi sagen?
»Wolltest du nie, dass er sich scheiden lässt?«, fuhr Kathi fort.
»Doch. Viele Male. Aber er konnte nicht weg wegen der Kinder und seiner Frau, die ihn nicht loslassen wollte, obgleich die Ehe am Ende war. Und ich konnte nicht weg wegen des Hofs und des Jobs. Ich weiß, was du jetzt gleich sagen wirst: Wahre Liebe findet einen Weg, wenn man wirklich will und so weiter. Kathi, das stimmt für manche, für diejenigen, die stark genug sind, um die Leichen, die dann den Weg pflastern, lässig zu überschreiten. Ich bin dafür nicht geboren.«
»Und warum hast du dir dann nie einen ganz anderen gesucht, einen, mit
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