Mord im Dirnenhaus
hatte sie noch keine Zeit gehabt. Und je länger er fort war, desto weniger konnte sie sich dazu aufraffen. Aber nun würde er bald zurückkommen.
Sie wählte einen feinen dunkelblauen Samtstoff mit hübschen silbernen Stickereien. Samt hatte sie vor ihrer Ehe nie getragen. Sie war früher schon nicht arm gewesen, aber Neklas war ein wohlhabender Arzt, und das machte einen Unterschied. Und seit ihr Vater die Apotheke nicht mehr selbst leitete, blieb auch von diesem Geschäft einiges mehr übrig. Vielmehr seit er nicht mehr in sein Laboratorium im Keller ging, um mit seinen komplizierten und teuren Gerätschaften nach dem Geheimnis der Transmutation zu suchen. Die Glas-Eier, Phiolen und Schalen, die ihm dabei so häufig zersprungen waren und natürlich sofort ersetzt werden mussten, hatten regelmäßig große Löcher in ihre Haushaltskasse gerissen.
Zwar hatte Neklas ärgerlicherweise das Laboratorium übernommen, denn auch er zählte zu den Adepten der Alchemie, doch ging er wesentlich vorsichtiger dabei vor. Und im Gegensatz zu ihrem Vater machte er niemals den gleichen Fehler zweimal, denn er führte über jeden seiner Versuche Buch.
So war ihre Geldkatze immer reichlich gefüllt, und sie brauchte die Münzen, die Neklas ihr gegeben hatte, heute nicht. Ihr Kleid und die Sachen für Vitus, für die sie dem Schneider einen Vorschuss gebenmusste, würde sie von ihrem eigenen Geld bezahlen können.
Als die beiden Frauen und Vitus eine Weile später wieder den Alter Markt betraten, bot sich ihnen ein seltenes Schauspiel: Mitten auf dem Marktplatz wogte eine bunte Menschenmenge aus Händlern, Bauern, Handwerkern und Hausfrauen um einen grauhaarigen Predigermönch, der lautstark die Sünden der Reichen verurteilte und gegen die Verbreitung der Unzucht wetterte. Einige hatten sich kleine Kinder auf die Schultern gesetzt, damit diese besser sehen konnten.
«Was ist denn hier los?» Franziska reckte den Hals.
«Ich will auch sehen!», rief Vitus und wollte losstürmen. Adelina bekam ihn jedoch noch rechtzeitig am Ärmel zu fassen. «He, lass mich, ich will da hin», protestierte er.
«Nein, Vitus, du bleibst bei mir!», befahl sie streng und zog ihn am Arm mit sich. Wenn sie zu ihrem Haus wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich an den aufgeregten Menschen vorbeizuschieben.
«Weg da, Ihr versperrt mir die Sicht!», keifte ihr eine Frau hinterher und «Nicht vordrängeln! Wir waren zuerst hier!», eine andere. Als Adelina ungefähr die Hälfte des Weges hinter sich hatte, blieb sie verblüfft stehen, sodass Franziska, die sich dicht hinter ihr hielt, beinahe gegen sie geprallt wäre. Der Predigermönch, offenbar ein Dominikaner mit ungewöhnlich gepflegter, säuberlich ausrasierter Tonsur und einer langen Hakennase, war gerade eben auf das Podest am Kax geklettert, um besser gesehen und gehört zu werden. Noch während Adelina über dieses schimpfliche Verhalten des Mönches staunte, wurde sie nach vorne geschoben und verlor dabei Vitus. Dafür stand sie nun plötzlich in der erstenReihe. Verärgert sah sie sich um, doch ihr Bruder war bereits in der Menge verschwunden.
In diesem Moment wurde der Dominikaner auf sie aufmerksam. Seine Augen glitzerten fanatisch aus seinem hageren Gesicht. Die weiße Kutte strahlte im Licht der Sonne auf, als er mit dem Finger auf sie zeigte. «Seht dieses brave junge Eheweib!» Aller Augen richteten sich nun auf sie, und er fuhr fort: «Die Haube verdeckt züchtig ihr Haar, wie es sich gehört, ihre Kleidung verrät ihren Wohlstand. Sicherlich dient sie ihrem Eheherrn voller Demut, wie es Gott, der Allmächtige, verlangt. Doch weiß sie, was ihr Gemahl so alles treibt, wenn er des Nachts lange ausbleibt?» Seine Stimme bekam einen grausamen Unterton. Ringsum wurde gelacht, und gehässige Bemerkungen drangen an Adelinas Ohr. Sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Doch bei seinen nächsten Worten zuckte sie entsetzt zusammen: «Weiß sie, dass er lügt, wenn er ihr von einem langen Arbeitstag, einem Besuch im Zunfthaus oder einer Einladung bei einem Freund erzählt? Dass er sich in Schänken und Dirnenhäusern herumtreibt? Dass er sein Geld den Hurenwirten in den gierigen Rachen wirft und dabei nicht nur seinen Leib beschmutzt, sondern auch noch seine Seele verdammt? Ist das nicht ein grausam Spiel? Und Schuld daran sind die verderbten Weiber in ihren Schlupfwinkeln und Frauenhäusern, die Badewirte, die euch einladen, in
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