Mord im Dirnenhaus
ihre Häuser zu kommen, wo ehemals brave Mägdelein dazu gezwungen werden, getreue Ehemänner zur Sünde zu verführen.»
Adelina starrte den Mönch sprachlos an. Doch da zeigte er bereits auf einen Mann in der Zunftkleidung der Küfer neben ihr. «Und seht diesen fleißigen Handwerker!Er müht sich von früh bis spät, um seine Familie zu ernähren. Doch ist ihm klar, dass sein Weib des Tags, wenn er in Geschäften fort ist, heimlich ihren Geliebten empfängt, oder schlimmer noch, dass fremde Männer, Kaufleute auf der Durchreise, rüpelhafte Scholaren, sie für ihre Liebesdienste bezahlen? Und das Balg, das sie erwartet, ist es tatsächlich seins oder das eines ihrer Freier? Ich sage euch …»
Was er noch zu sagen hatte, interessierte Adelina nicht mehr. Mit wutverzerrtem Gesicht drehte sie sich um und kämpfte sich weiter durch die Menge. Kurz vor dem Eingang ihrer Apotheke traf sie wieder auf Franziska und Vitus.
«Ist etwas mit Euch?» Franziska sah sie alarmiert von der Seite an, als sie Adelinas verbissenen Gesichtsausdruck sah. «Was war denn da vorne los? Ich konnte gar nichts sehen.»
«Dieser Schwätzer!», regte Adelina sich auf. «Hast du gehört, was er gesagt hat? Und er hat dabei auf mich gezeigt! Was glaubst du, was die Menschen über mich reden werden? Sie tun es jetzt schon! So eine Unverschämtheit. Und die Büttel stehen daneben und tun nichts.» Sie stieß die Tür auf und stapfte zornig hinein.
Franziska folgte ihr mit betretenem Gesicht. «Er hat auf Euch gezeigt? Aber Ihr habt doch nichts getan, und Euer Gemahl ist …»
«Ich will nichts mehr davon hören», schnitt Adelina ihr das Wort ab. «Geh und kümmere dich um Vitus. Ich habe hier noch zu tun.»
Adelina griff nach dem Besen, der hinter der Tür stand und begann, den Boden zu fegen. Franziska nahm Vitus an der Hand und zog ihn eilig aus dem Raum.
Auch als sie allein war, verrauchte Adelinas Wut nicht. Die Worte des Mönchs hatten sie mehr getroffen, als sie sich eingestehen wollte. Natürlich vertraute sie Neklas, aber er war nun schon so lange fort, und die Leute begannen allmählich zu reden. Sie presste die Lippen zusammen. Von draußen drang noch immer leise die Stimme des Dominikaners zu ihr. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten.
***
Der Marktplatz leerte sich nur sehr langsam. Selbst als der fanatische Prediger schon längst fort war, standen die tratschenden Hausfrauen weiter beieinander, anstatt ihre Körbe mit den Waren der Händler zu füllen. Handwerksburschen und Zunftbrüder in ihren vielfarbigen Trachten bildeten aufgeregt disputierende Grüppchen. Scholaren von der Universität rotteten sich zusammen und ergötzten sich an den unzüchtigen Bildern, die der Mönch ihnen mit eindrucksvollen Worten in die Köpfe gesetzt hatte.
Ob dem Prediger wohl bewusst war, dass er mit seinem Auftritt eben jenen von ihm in Grund und Boden verdammten Schänkenwirten heute einen besonders guten Verdienst verschafft hatte, fragte Adelina sich. Denn noch vor dem Abendläuten würden die Lästermäuler seine Rede bei Wein oder Bier in die übrigen Stadtteile tragen.
Als die Marktglocke das Ende des Arbeitstages für die Händler verkündete und die Bauern ihre leeren Karren bereits in Richtung Severinstor schoben, wurde es auf dem Alter Markt erneut unruhig. Adelina war gerade dabei, die Fensterläden zu schließen, als sie des erneutenMenschenauflaufs gewahr wurde. Doch für heute hatte sie genug von sensationsgierigen Leuten; die Apotheke war den ganzen Nachmittag voll davon gewesen. Sie wollte eben den Fensterladen mit Schwung zuklappen, als sie den Grund für die schreienden und keifenden Weiber und das unflätige Schimpfen der noch anwesenden Kaufleute sah. Zwei Henkersknechte schoben den Schinderkarren über den Marktplatz, bewacht von mehreren grimmigen Bütteln. Zwei Marktfrauen warfen faulende Gemüsereste und Abscheuliches aus den Rinnsteinen auf die zerlumpte Person, die im Karren hockte.
Adelina hielt inne, als der Karren näher geschoben wurde, dann schnappte sie nach Luft. Es war Ludmilla, die da zusammengesunken auf der schmutzigen Ladefläche des Karrens saß, auf dem sonst tote Tiere, Dung oder der Inhalt von Abortgruben transportiert wurden. Erschrocken riss Adelina die Tür auf und stürzte hinaus. Sie rannte ein paar Schritte auf den Karren zu, zwang sich dann jedoch, stehen zu bleiben. Sie durfte ihm und den Henkern nicht zu nahe kommen. Schon die kleinste Berührung würde sie für immer
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