Mord im Dirnenhaus
Adelina mit finsterer Miene zurück und trat nach draußen. Das Sonnenlicht blendete sie, sodass sie ihre Augen mit der Hand beschatten musste. Ludowig kam eilig auf sie zugelaufen und nahm ihr den leeren Korb ab. Adelina lächelte ihm dankbar zu. «Lass uns fahren.» Sie drehte sich noch einmal zu dem Wachmann um und blickte ihm streng in die Augen. «Vergesst das Wasser nicht.»
4
Als Ludowig die Kutsche vor dem Tor anhielt, stellten zwei bullige Knechte gerade eine Sänfte vor der Apothekentür ab und halfen einer kleinen rundlichen, ganz in tiefes Schwarz gekleideten Frau heraus.
Adelina sprang vom Kutschbock und lief eilig auf sie zu. «Frau Entgen, wollt Ihr zu mir? Da habt Ihr aber Glück, dass ich gerade heimgekehrt bin.»
Entgen van Kneyart sah ihr überrascht entgegen. Ihre Augen waren rotgerändert und von dunklen Schatten umgeben, die selbst das Reispuder, das sie auf ihren Wangen verteilt hatte, nicht kaschieren konnte. Das blonde Haar hatte sie zu festen Schnecken aufgerollt und unter einer Haube mit Riese und fest verknotetem Gebende versteckt. So wirkte ihr rundes, schon etwas verlebtes Gesicht nicht nur von Trauer gezeichnet, sondern auch noch unnatürlich streng.
Adelina blieb vor ihr stehen und nahm ihre Hand. «Wie geht es Euch?»
«Ach, wie soll es mir schon gehen? Nachts tue ich kein Auge zu. Ich kann einfach nicht fassen, dass mein lieber Bruder nicht mehr da ist.» Sie seufzte und tupfte sich mit dem Ärmel ihres Überkleides die Augen, die voller Tränen waren. «Wer tut nur so etwas Schreckliches? Und warum?»
Mitfühlend drückte Adelina ihre Hand. «Kann ich etwas für Euch tun? Braucht Ihr noch einmal von der Schlafmedizin?»
«O ja, das wäre wunderbar.» Entgen nickte, und ihre Augen hellten sich für einen Moment auf. «Wenngleich ihre Hilfe nur von kurzer Dauer ist. Eigentlich wollte ich gar nicht zu Euch, sondern zu Hiltrud Keppeler. Sie ist eine gute Freundin, und nun hat sie das gleiche Schicksal ereilt wie mich. Es ist so schrecklich. Die Arme muss vollkommen außer sich sein.»
«Also ist sie inzwischen von ihrem Verwandtenbesuch zurück?» Adelina schloss die Haustür auf und winkte der aufgelösten Frau, ihr zu folgen.
«Aber ja, heute Morgen ist sie heimgekommen. Was muss sie entsetzt gewesen sein, als man ihr die schlimme Nachricht überbracht hat. Und dann noch die Kinder! Sie wird jeden Trost und jede Hilfe brauchen können.»
«Da bin ich ganz Eurer Meinung, Frau Entgen. Es ehrt Euch, dass Ihr trotz Eures eigenen Leides so an Eure Freundin denkt.»
«Ach, wer außer mir könnte wohl besser verstehen, was sie durchmacht?» Wieder betupfte sich Entgen die Augen, die immer wieder überflossen. «Thönnes war zwar nicht mein Ehemann, aber wir standen uns immer sehr nahe. Ihr habt doch auch einen Bruder, nicht wahr? Dann könnt Ihr Euch sicher vorstellen, was ich meine.»
Adelina nickte und nahm gleichzeitig die Zutaten für das Schlafpulver aus dem Regal. Mit geübten Bewegungen mischte sie die Rezeptur. «Ich tue diesmal noch ein bisschen gemahlenen Schlafmohn mit hinein. Ihr dürft aber nur einen Löffel voll davon in Euren Wein tun, nicht mehr, sonst könnte es Euch schaden.»
«Natürlich. Ich werde sehr achtsam damit umgehen.» Entgen legte eine Münze auf den Tresen, die Adelina in ihre Geldkatze legte.
«Wenn ich sonst noch etwas für Euch tun kann …»
«Ach nein, ich weiß, Ihr meint es gut, aber das muss ich ganz alleine durchstehen.» Mit einem traurigen, aber dennoch herzlichen Lächeln tätschelte die ältere Frau ihr die Wange und wandte sich dann zur Tür. «Ich werde jetzt mal zu Hiltrud gehen. Vielleicht sollte ich ihr Eure Medizin ebenfalls ans Herz legen.»
«Richtet ihr meine herzlichsten Grüße aus», sagte Adelina. «Und sagt ihr, dass ich sie morgen ebenfalls besuchen werde.»
«Bestimmt wird sie sich darüber freuen.» Entgen nickte ihr noch einmal zu und verließ dann die Apotheke.
***
Aus dem Besuch bei ihrer Nachbarin wurde jedoch nichts, denn am darauf folgenden Tag wurde Adelina durch einen Boten ins Zunfthaus Himmelreich gebeten. Als sie dort ankam, wurde sie von Johann Leuer freundlich begrüßt. «Schön, dass Ihr so rasch kommen konntet, meine Liebe», rief er und geleitete sie in die Zunftstube, in der noch einige weitere Männer um einen schweren, mit geschnitzten Ornamenten verzierten Eichentisch saßen. An den Wänden hingen gewebte Teppiche, die mit dem Zunftwappen – Sonne, Mond und Sterne, und darüber eine Krone
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