Mord im Dirnenhaus
war noch hagerer als sonst und für ihr Alter merkwürdig ebenmäßig und faltenlos; die lange Nase stach wie ein Haken hervor. Ihre Augen waren blutunterlaufen, ihr dunkles, von weißen Strähnen durchzogenes Haar klebte in feuchten Strähnen an ihrem Kopf.
«Ich will dir helfen, Ludmilla.»
«Helfen?», krächzte die Alte mit ihrer heiseren Stimme und stieß einen Laut aus, der wohl ein Lachen sein sollte. «Sieh mich doch an, mir kann keiner mehr helfen.» Sie hob ihren Fuß, sodass die schwere Eisenkette sichtbar wurde, mit der man sie an die Wand gekettet hatte, und die gerade so lang war, dass sie den Eimer erreichen konnte. Gleichzeitig hielt sie Adelina ihre Hände vors Gesicht.
Die Kuppen ihrer Daumen und Zeigefinger waren blauschwarz verfärbt und geschwollen, an der rechten Hand fehlten außerdem die Fingernägel.
Adelina riss entsetzt die Augen auf. «Großer Gott, warum haben sie die Wunden nicht verbunden?»
Ludmilla zischte ironisch. «Das haben sie. Mit Tüchern, die sie vorher in Leinöl getaucht hatten.» Sie wies mit dem Kinn auf den Spalt zwischen Strohschütte und Wand, in dem die Verbände zusammengeknüllt lagen. «Hätte ich sie draufgelassen, wäre ich wahrscheinlich schon am Wundfieber gestorben.»
«Ich will dir helfen», wiederholte Adelina und hob sogleich abwehrend die Hand, als Ludmilla widersprechen wollte. «Einst hast du mir geholfen, und das hättest du auch nicht tun müssen.»
Ludmilla warf einen Blick auf den Korb, den Adelina neben der Strohschütte abgestellt hatte. «Weiß dein Gemahl, dass du hier bist?»
«Neklas ist nicht in der Stadt.» Adelina blickte diealte Frau ruhig an. «Aber er hätte mich nicht abgehalten, zu dir zu gehen. Niemand hätte das.»
Ludmilla starrte aus schmalen Augen zurück, dann begann sie keckernd zu lachen. «Nein, vermutlich nicht. Dein Mann kann einem wirklich leidtun. Obwohl, vielleicht hat er es ja auch nicht besser verdient. Er kannte dich ja lange genug, bevor er um deine Hand angehalten hat. Aber du kannst mir nicht helfen, glaube mir. Ich bin so gut wie verurteilt.»
«Nicht, wenn du unschuldig bist.»
«Unschuldig, unschuldig», äffte Ludmilla das Wort gereizt nach. «Als ob die danach fragen würden. Ich war in dem vermaledeiten Hurenhaus, das ist für die Grund genug.»
«Das ist es nicht», widersprach Adelina. «Sie brauchen Beweise, oder aber mindestens zwei Zeugen, die gesehen haben, dass du die beiden Ratsherren vergiftet hast.»
«Ach was, Zeugen.» Kraftlos ließ sich Ludmilla gegen die kalte Zellenwand sinken. «Wenn es nur das ist. Zeugen kann man kaufen, wenn es sein muss.»
«Aber weshalb sollten sie das tun? Dem Rat und den Schöffen ist daran gelegen, den wahren Mörder zu finden.» Adelina stand auf und ging in dem winzigen Raum auf und ab. «Ich möchte, dass du mir erzählst, was genau du dort getan und was du gesehen hast. Und wenn du wirklich unschuldig bist …» Sie blieb stehen und fixierte Ludmilla eindringlich. «Dann werde ich dafür sorgen, dass du wieder freikommst, das verspreche ich dir.»
«Also bitte, wenn du meinst.» Ludmilla zuckte mit den Schultern. «Viel gibt es nicht zu berichten. Eine der Berlichhuren ist schwanger. Sie hatte aber Angst,bei einer Abtreibung zu sterben, deshalb will sie das Kind austragen und dann in ein Waisenhaus geben. Ich habe sie am Sonntag aufgesucht, um zu sehen, wie die Schwangerschaft verläuft. Und während ich ihren Bauch abtastete, hörten wir aus einem der Nebenzimmer plötzlich lautes Gekreische. Ich bin hin, um zu sehen, was los ist, aber da lag der Ratsherr bereits am Boden und wand sich in Todeskrämpfen. Da war nichts mehr zu machen, er war schon ganz grau im Gesicht. Also bin ich zurück zu Änne, um mit der Untersuchung weiterzumachen. Natürlich habe ich mich nicht mehr lange aufgehalten, denn es tut nicht gut, in einem Haus mit einer Leiche allzu lange zu verweilen.»
«Du bist dann also gleich gegangen?», hakte Adelina nach. «Hat dich dabei jemand gesehen?»
«Sicher. Mutter Berta und eine der Dirnen, die sie «Dicke Trin» nennen, weil sie …» Ludmilla machte eine ausholende Geste mit den Armen, die den Umfang der Hüften dieser Hübschlerin darstellen sollte. Dabei zuckte sie jedoch vor Schmerzen zusammen und legte ihre lädierten Hände wieder vorsichtig in den Schoß. «Sie haben mir noch geraten, den Nebeneingang zu nehmen, damit ich nicht den Bütteln in die Arme laufe.»
Adelina hatte aufmerksam zugehört und runzelte nun erneut die
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