Mord im Dirnenhaus
konnte.
Adelina biss sich auf die Lippen, als ihr bewusst wurde, weshalb Griet so reagierte. Die Kleine hatte in ihrem Leben über wesentlich größeres Leid weniger Tränen vergossen.
«Geh jetzt. Franziska und ich werden ihn schon beruhigen», meinte sie. «Weißt du, Vitus ist in vielen Dingen wie ein ganz kleines Kind, obwohl er schon fast erwachsen ist. Er versteht die Dinge nicht so wie du und ich.»
Griet warf noch einen Blick nach draußen, wo Vitus sich allmählich zu beruhigen schien und sein Geheul sich in einen ausgewachsenen Schluckauf verwandelte. Dann schob sie nachdenklich und ein wenig missbilligend die Unterlippe vor und ging zurück ins Haus.
Franziska versuchte ein betretenes Lächeln, als Adelina auf sie zuging und Vitus an den Schultern fasste.
«Verzeiht, Herrin, dass wir Euch gestört haben. Vitus war so erschrocken, und wir wussten nicht, ob wir ihn allein beruhigen können.»
«Die ganze Suppe is’ weg, Lina.» Schon wollten bei Vitus wieder die Tränen fließen. «Ich hab doch nur geguckt, wo Fine is’. Und jetzt haben wir kein Essen mehr.»
«Sieh mich an, Vitus!» Adelina rüttelte ihren Bruder, bis er die verheulten Augen hob. «Das mit der Suppe ist sehr ärgerlich. Du sollst Fine doch nicht nachlaufen, wenn sie sich zwischen den Möbeln versteckt. Sie ist doch viel kleiner und gelenkiger als du.»
«Ich wollte aber doch bloß …»
«Du wolltest mit ihr spielen, und nun muss Magda den Küchenboden schrubben.» Adelina sah ihn eindringlich an. «Du gehst jetzt mit Franziska hinein und hilfst ihr, neues Gemüse zu putzen und das Regalbrett zu reparieren. Und dann müssen wir Ludowig losschicken, dass er etwas aus der Garküche besorgt.»
Vitus nickte betrübt und senkte den Blick wieder auf seine Fußspitzen. Adelina betrachtete ihn mit einem Seufzen. «Nun weine nicht mehr, davon kommt die Suppe auch nicht wieder.»
Adelina nickte ihrer Magd noch einmal zu, dann wandte sie sich zum Gehen. In der Tür blieb sie jedoch stehen und drehte sich ruckartig um. «Franziska, wo ist eigentlich mein Vater?»
«In seiner Kammer», antwortete Franziska, dann weiteten sich ihre Augen. «Glaube ich zumindest.» Sie packte Vitus am Handgelenk und zog ihn mit sich an Adelina vorbei ins Haus.
Adelina lehnte sich indes kurz an den Türstock und atmete tief durch. Sie musste sich um ihren Vater kümmern. Doch in der Apotheke wartete Entgen. Sie rieb sich über die Augen und eilte zurück in die Apotheke.
«Verzeiht, Frau Entgen», sagte sie mit einem kläglichen Lächeln. «Ein großer Haushalt fordert auch große Aufmerksamkeit.»
«Wie wahr.» Verständnisvoll neigte Entgen den Kopf. «Das ist zuweilen eine große Aufgabe. Und für Euch ist sie ja noch recht neu, nicht wahr? Das …»
Erneut flog die Tür zum Hinterzimmer auf und Franziska polterte herein. «Er ist schon wieder weg!», japste sie. «Wir suchen ihn.» Damit klapperte sie an Adelina und Entgen vorbei und hinaus auf die Straße. Adelina sah ihr besorgt und mit äußerst gemischten Gefühlen nach. Doch dann zwang sie sich, ihre Aufmerksamkeit auf Entgen zu richten. «Wie viel soll ich Euch von dem Konfekt abwiegen?»
«Oh, eine von Euren großen Schachteln voll, bitte. Ich bin ja froh, dass ich mir das noch leisten kann. Und dass es wohl auch dabei bleiben wird, so mein zukünftiger Gemahl sich nach der Hochzeit nicht als Kniesbüggel herausstellen sollte.»
«Dann werdet Ihr also heiraten?»
«Bereits in sechs Wochen», bestätigte Entgen. «Ich wollte erst bis nach Weihnachten warten, doch dann dachte ich mir, wozu die Sache aufschieben? Und für das Geschäft kann es nur von Vorteil sein, wenn so bald wie möglich wieder ein Meister im Haus ist. Ich fürchte, dass jetzt schon viele unserer alten Kunden zur Konkurrenz gegangen sind.»
«Zu Eurem Vetter, meint Ihr?», hakte Adelina nach.
«Vor allem zu ihm», nickte Entgen. «Ich sollte ihmdeshalb nicht zürnen», fügte sie hinzu. «Er kümmert sich um alles und steht mir bei. Und er will alles daransetzen, Thönnes’ Mörder zu fassen.» Nun tupfte sich Entgen mit dem Ärmel über die Augen. «Schlimm nur, dass er damit auch Euch das Leben schwermachen muss.»
«Macht Euch darüber keine Gedanken.» Adelina schlug einen heiter-beruhigenden Ton an und überlegte dabei fieberhaft, wie sie auf das wichtigste Thema zu sprechen kommen könnte. «Auch mir ist sehr daran gelegen, dass sich diese Sache alsbald aufklärt. Die Klatschmäuler der Stadt stehen nicht still,
Weitere Kostenlose Bücher