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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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erreicht. Ein paar Soldaten saßen gelangweilt auf den Zinnen. Sie ließen die Beine baumeln.
«Was gibt’s Neues?», rief ich ihnen zu.
«Was soll’s schon geben?», kam die Antwort von oben. «Die Bastarde warten ab. Sie schlachten unser Vieh und kochen daraus ihre widerliche Blutsuppe!»
«Bleibt auf der Hut!», sagte ich streng. «Denkt daran, was sie mit unseren Schiffen gemacht haben. Sie können von einem Moment auf den anderen losschlagen.»
«Schon gut, Hauptmann», gaben sie zurück, und allzu leicht war zu hören, wie sehr sie meiner Ermahnungen überdrüssig waren.
Während ich mit den Soldaten sprach, nahm Sokrates seinen Schild vom Rücken und setzte sich auf einen Steinquader, der ein paar Schritte vom Tor entfernt aus der Mauer ragte. Dort verharrte er regungslos, auch noch, als ich meinen kurzen Wortwechsel mit den Wachen beendet hatte und zu ihm kam. Das Licht der Morgensonne schien ihm ins Gesicht, trotzdem blieben seine Augen offen. Ganz klar und durchscheinend schienen mir seine Züge, ganz anders, als sie mir in Kephalos’ Garten im Feuerschein der Fackeln begegnet waren. Als ich näher zu ihm trat, sah ich, wie sich seine Lippen bewegten. Sein guter Geist sprach zu ihm. Ich setzte mich neben ihn; er nahm mich gar nicht wahr. Ich wartete und streckte die Beine aus. Der Tag versprach warm zu werden. Schon jetzt brannte die frühe Sonne auf meinen ledernen Harnisch. Eine zweite Morgenmüdigkeit überkam mich, ich musste gähnen. Sokrates nahm keine Notiz von mir. Ich betrachtete ihn von der Seite. Stumm bewegten sich seine Lippen. Seine Augen standen ganz fern; er war als Knabe einmal schon im Himmel.
«Was geht bloß in dir vor?», fragte ich, nachdem ich ihn eine ganze Weile beobachtet hatte, aber er antwortete nicht. Er blieb in sein stilles Gespräch vertieft. Seine Augen blieben offen und starr. Obwohl er in die Sonne sah, blinzelte er nicht.
«Sokrates!», rief ich und stieß ihn an. Verwundert rieb er sich die Augen.
«Oh, Nikomachos, verzeih mir. Ich war einen Moment nicht da», entschuldigte er sich.
«Schon gut, ich hatte nur Angst, du verbrennst dir die Augen. Du hast noch nicht einmal geblinzelt», erklärte ich. Ich ließ ihm einen Moment Zeit, zu sich zu kommen.
«Weißt du, was ich mich frage, lieber Sokrates», begann ich nach einer Weile. «Kritias war doch dein Schüler?» Sokrates nickte vorsichtig.
«Was ist zwischen euch beiden vorgefallen? Wieso habt ihr euch überworfen?»
Sokrates antwortete nicht gleich. Er rieb sich die Beine, als wären sie ihm im Sitzen steif geworden.
«Das ist eine sehr lange Geschichte», erwiderte er schließlich beinahe verlegen. «Ich erzähle sie dir ein andermal. Hab Geduld mit einem alten Mann, dessen Augen brennen.» Mit diesen Worten erhob er sich mit einer für ihn ganz ungewöhnlichen Eile. «Ich denke, ich sollte jetzt doch zu meiner Einheit gehen. Man muss seine Pflicht tun, nicht wahr?»
Er wandte sich zum Gehen, zögerte aber doch einen Augenblick.
«Kannst du dich noch an unser erstes Treffen erinnern?», fragte er, bevor er sich endgültig verabschiedete.
«Sehr gut sogar», antwortete ich aufrichtig. «Du wolltest wissen, was mich zu dir führte, nicht wahr? Die Philosophie war es nicht … Obwohl die Frage, was Gerechtigkeit ist, auch für den Hauptmann der Bogenschützen nicht unbedeutend sein kann und vielleicht immer wichtiger wird?»
«Du hast ein außergewöhnliches Gedächtnis», bemerkte Sokrates mit einer gewissen Anerkennung. Dann winkte er mir zu und ging.
die spartaner griffen nicht an, an jenem Tage nicht, nicht an den folgenden Tagen und nicht in den nächsten Wochen. Aber sie hielten die Stadt eisern umklammert. Lysander mit seiner gewaltigen Flotte blockierte den Seeweg, Pausanias und sein Landheer hielten die Stadttore verriegelt. Wir blieben gefangen. Nach wie vor ließen die Spartaner die wenigen Siedler, die sich in die Nähe Athens wagten, passieren, aber sie nahmen ihnen die Waffen, jedes Stück Brot und jeden Tropfen Wasser, den sie bei sich trugen, sodass auch uns endlich klar wurde, welche Strategie sie verfolgten. Was kein Feind je versucht hatte und vorher auch nicht hätte gelingen können, war durch den Untergang der attischen Flotte mit einem Male möglich. Athen sollte ausgehungert werden – und tatsächlich, die Stadt begann schon sehr bald zu hungern. Und mit jedem Flüchtling wurde die Not größer.
Wie immer traf es zuerst die Armen. Die Kolonisten, die nach Athen als ihrer Mutterstadt

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