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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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unwillkürlich zog es meinen Geist in jene Nacht der unseligen Panathenäen zurück. Mein Vater war neben mir. Unsere Schritte hallten durch die Gassen, aber nicht nur unsere Schritte, nicht nur unsere. Plötzlich die Soldaten hinter uns. Ein Schwert im Licht des Mondes und das Gesicht, dieses unerträgliche Gesicht.
«Es gibt noch eine andere Möglichkeit», sagte Aspasia nach einer Weile.
«Und welche?»
«Hast du dir nie überlegt, dass Kritias und Anaxos vielleicht gemeinsame Sache machen?» fragte sie.
«Offen gestanden, nein», antwortete ich, «das konnte ich mir bisher nicht vorstellen.»
Aspasia schwieg einen Moment. Draußen hörten wir Teka und die Kinder. Unsere alte Sklavin wollte die Jungs waschen, hatte aber alle Mühe mit ihnen. Die beiden balgten herum wie junge Hunde, und Teka, die die Kinder liebte wie eine Großmutter, ließ sich langmütig auf der Nase herumtanzen.
«Ich glaube, ich muss ihr helfen», sagte Aspasia und wollte aufstehen. Ich hielt sie zurück und zog sie zu mir. Sie sah mich an. Ihre Augen waren traurig. Ich küsste sie. Aspasia ließ sich auf unsere Lager zurückfallen und drehte sich in meine Arme, aber ihr Körper blieb angespannt. Die Kratzer in meinem Gesicht brannten.
«Was ist mit dir?», fragte ich.
«Ich mache mir Sorgen wegen unserer Kinder», antwortete sie.
«Teka kann gut auf sie aufpassen …»
«Aber ich mache mir doch keine Sorgen wegen Teka!», erwiderte sie heftig. «Ich mache mir darüber Sorgen, was Lykon gesagt hat!»
«Thrasybulos beschützt uns», war das Einzige, was mir einfiel, um sie zu beruhigen. Das war wenig, zu wenig. Ihre Angst hatte mich längst ergriffen. Furcht teilt sich mit wie Feuer, lodernd und unaufhaltsam.
«Jetzt ist es aber genug, ihr Bengel!», hörten wir Teka durch das Haus rufen. Endlich trollten sich die beiden und gingen maulend in den Waschraum. Ich setzte mich auf. Tausende von kleinen, silbernen Staubkörnern tanzten im Licht der aufgehenden Sonne, das durch die Fensterläden drang.
«Was soll ich tun?», fragte ich Aspasia.
«Das musst du selbst wissen», antwortete sie. «Es gibt Entscheidungen, die du nur allein treffen kannst.» Sie erhob sich und lächelte traurig.
«Aber du bist meine Frau.»
«Eben», sagte sie und küsste mich.
Sie hatte die Schlafzimmertür schon geöffnet, als sie sich noch einmal umdrehte. Das Gegenlicht des frühen Morgens legte einen leuchtenden Schimmer um ihr Haar und enthüllte den Schattenriss ihres weiblichen Körpers unter ihrem Nachtgewand.
«Egal, was du tust, sei vorsichtig», sagte sie. «Und denk an deine Söhne.»
«Das werde ich», versprach ich.
«Ich weiß», sagte sie leise und ging hinaus.
Ich blieb im Dämmerlicht des Morgens liegen. Draußen mahnte Aspasia die Kinder zur Ruhe. Augenblicklich waren die Brüder still. Sie hatten wohl beinahe ebenso viel Respekt vor ihr wie ich. Ich schloss die Augen. Erst blieb alles dunkel. Dann erschien Lykons Gesicht vor mir. Ich sah seine mädchenhaften Bewegungen und schmeckte beinahe den Kuss, den er mir auf den Mund gedrückt hatte. Ich glaube, ich habe ihn Aspasia gegenüber nicht erwähnt. Was hatte er damit wohl bezweckt? Glaubte er wirklich, er könnte mich verführen wie irgendeinen alten Freier?
Aber es erstand noch ein anderes Bild vor mir. Langsam und wie durch einen dichten Nebelschleier stieg die Erinnerung an den Knaben Lykon in mir auf, an den Jungen, der mich an jenem unsagbar heißen Tag zu Alkibiades gerufen und begleitet hatte. Lykon war bleich gewesen damals. Er hatte sich auf dem Weg hinauf sogar ausruhen müssen. Warum? Ich entsann mich nur dunkel: War er krank oder müde, weil er in der Nacht davor nicht hatte schlafen können?
Genug jetzt! Ich musste gehen. Der Feind stand vor den Toren. Ich sollte aufhören, in der Vergangenheit zu wühlen!
    Auf dem Weg zum Tor traf ich Sokrates. Es war noch früh. Die Sonne stand erst halb über den Bergen. Athen rüstete sich für den neuen Tag. Auch Sokrates trug seine Waffen. Er bot einen ungewöhnlichen Anblick, kannte man ihn doch sonst nur in seinem einfachen Mantel. Jetzt war er ein Hoplit seiner Stadt. Er trug eine Sturmhaube, den Schild hatte er auf den Rücken gebunden, sein Brustharnisch zeigte drei alte, tiefe Schnitte, wie sie nur ein Schwert in dem festen, mit Eisen beschlagenen Leder hatte hinterlassen können. Einer von ihnen lag nur eine Handbreit unter dem Herz.
    «Nikomachos, wie schön, dich zu sehen», grüßte er mich freudig und umarmte mich, wie es nun einmal

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