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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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stand kaum im Zenit, da wollte jeder Athener schon mit jemandem gesprochen haben, der über den Ausgang der Mission genau Bescheid wusste. Von einem baldigen Frieden mit Sparta und einer Erneuerung unserer Waffenbrüderschaft war die Rede; manche wollten sogar schon von der Höhe der Reparationszahlungen gehört haben, die Attika leisten musste, um die Waffenruhe zu erkaufen. Man munkelte etwas von Schiffsladungen voller Silber, zumindest die halbe Kasse des Delischen Bundes müsse herausgegeben werden. Und was war mit den Langen Mauern? Würden wir sie niederreißen müssen? Die Leute schüttelten den Kopf. Von dieser unerträglichsten aller Forderungen sei Sparta abgerückt.
    Die Neuigkeiten stimmten uns heiter. Der Frieden schien möglich, greifbar und nah. Niemand wunderte sich, als zwei Tage nach der Ankunft der Unterhändler wieder Herolde durch die Stadt rannten und für den nächsten Abend eine weitere Vollversammlung auf der Pnyx einberiefen. Sicher würden uns die Prytanen die Forderungen der Spartaner näherbringen. Soweit er nur zu bezahlen ist, nehmt den Frieden an! Schluss mit dem sinnlosen Bruderkrieg. Das schienen alle Athener zu denken.
    Wie erstaunt waren wir aber, als Theramenes vor uns trat und seinem Gesicht wieder jenen ernsten Zug zu geben suchte, den es von Natur aus nun einmal nicht hatte.
    Was er berichtete, ist schnell erzählt. Keines der Gerüchte, das zwischen Agora, Hephaistos-Tempel und Olympieion die Runde machte, beruhte auch nur auf einem Fünkchen Wahrheit. Es war alles viel schlimmer. Unsere Botschafter hatten sich zunächst an Agis, den zweiten König Spartas, gewandt und unser Friedensangebot unterbreitet. Durften wir nur den Hafen und die Mauern behalten, so wollten wir die Waffen niederlegen und Bundesgenossen Spartas werden, was zugleich bedeutete, uns seiner Vorherrschaft zu unterwerfen. Agis hatte sich den Vorschlag in seinem Zeltlager in Ruhe angehört, sich am Kopf gekratzt und die Männer dann mit der Bemerkung fortgeschickt, er habe keine Vollmacht, mit Athen zu verhandeln. Wenn sie Frieden wollten, müssten sie nach Sparta gehen. Hierauf waren die Botschafter nach Sellasia gewandert, einer Stadt, die kurz vor der Grenze zu Lakonien liegt. Dort wurden sie erwartet. Berittene Boten des Feindes waren ihnen vorausgeeilt. Zwei Mitglieder des spartanischen Rates der Ephoren fragten sie schroff, welche Botschaften unsere Männer brächten. Diese traten demütig und gesenkten Hauptes vor die Spartaner und wiederholten das Angebot, das sie auch schon vor König Agis gebracht hatten. Aber sie wurden auf der Stelle fortgeschickt. Wenn Athen Frieden wolle, dann solle es mit anderen Vorschlägen kommen, höhnten die Spartaner und gestatteten unseren hungrigen, durstigen und müden Männern noch nicht einmal, eine Nacht in Sellasia zu bleiben, um sich auszuruhen und die geschundenen Füße zu waschen … Das war alles. Es gab kein neues Angebot, und wir alle fragten uns stumm, was das bedeuten mochte. Wollte Sparta den Krieg um jeden Preis? Sollten wir Athener versklavt werden und unsere Kinder neben den Heloten auf den Feldern stehen? Es schien kaum eine andere Deutung für ihr überhebliches Verhalten zu geben, und wie sich die Nacht düster über die Stadt legte, legten sich Angst und Furcht finster auf unsere Seelen. Keiner der versammelten Männer auf der Pnyx sprach noch ein Wort – Tausende von Kehlen blieben verschlossen, so niedergeschlagen waren wir. Es war, als nähme die Hoffnungslosigkeit in der Stille, die die Versammlung umgab, Gestalt an, eine gespenstische Gestalt, die sich von unserem Lebenswillen nährte.
    Und doch, irgendwann erhob sich wieder eine Stimme. Es war diejenige des Theramenes, unseres militärischen Führers, der sich anbot, als der gewählte Stratege persönlich mit Lysander zu verhandeln und alles zu geben, um Sparta zu einem guten Frieden zu bewegen. Wir müssten ihm nur vertrauen und alle Vollmachten geben, die er brauchte, um Attika und den Peloponnes zu befrieden …
    Was sollten wir tun? Der Vorschlag blieb unsere einzige Hoffnung, und versehen mit allen Ehren und mit allen Befugnissen schickten wir Theramenes zu Lysander, dessen Flotte vor Piräus lag und uns die Luft zum Atmen nahm.
    Es vergingen wieder drei Monate, ohne dass man etwas von unseren Unterhändlern sah oder hörte. Der Herbst kam, aber seine Ernten brachten der Stadt nur wenig Korn. Selbst das fruchtbare Dreieck innerhalb der Mauern konnte Athen mit seinen hunderttausend

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