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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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gegen die Hauswand. Dort standen wir Gesicht an Gesicht. Ich roch das schwere Parfüm seiner Haare. Plötzlich küsste er mich und stieß mir seine Zunge in den Mund. Angeekelt, angewidert, angezogen, all das war ich in diesem Moment. Als ich mein Gesicht wegdrehte, spuckte er mich an, und ich gab ihm eine schallende Ohrfeige. Das schien ihn halbwegs zur Besinnung zu bringen. Er rutschte vor mir auf den Boden und begann zu schluchzen wie ein Kind. Die Schrammen in meinem Gesicht brannten wie Feuer. Der kleine Teufel musste lange, scharfe Fingernägel haben.
«Ich weiß, was du über mich denkst», sagte er nach einer ganzen Weile, «und sicher hast du damit recht. Aber ich will nicht, dass dir etwas geschieht. Hör auf mit dieser alten Geschichte. Für dich ist das Ganze zu groß und zu gefährlich. Hör auf, dich in diese Dinge einzumischen. Im Moment glauben alle, du hättest deine Lektion gelernt. Deswegen lassen sie dich in Ruhe. Wenn du wieder zu schnüffeln anfängst, geht es dir am Ende wie deinem Vater.»
Ich war wie vom Donner gerührt.
«Was weißt du über meinen Vater?», fragte ich.
«Nichts», antwortete Lykon sofort und atemlos, «gar nichts, und es ist besser so, denn sonst wäre ich nicht mehr am Leben.»
«Hat Kritias irgendetwas mit dem Tod meines Vaters zu tun?», wisperte ich.
«Nein», entgegnete Lykon, sprang auf und stieß mich so heftig zurück, dass ich beinahe das Gleichgewicht verlor. Dann rannte er davon, wie nur ein Siebzehnjähriger dies kann. Ich versuchte nicht einmal, ihm zu folgen. Ich konnte ihm nur nachsehen und hörte, wie seine Schritte in den dunklen Gassen verhallten.
als aspasia am nächsten morgen mein geschundenes Gesicht sah, war sie sofort misstrauisch. Sie war vor mir erwacht und weckte mich zart. Das erste Licht fiel durch das Fenster auf unser Nachtlager, da entdeckte sie die Schrammen. Ihre Augen färbten sich grün, was immer nur einen Grund haben konnte. Sofort fragte sie mich, woher ich diese Kratzer hätte, und ich zögerte die Antwort auf der Suche nach einer Ausrede einen Augenblick zu lange hinaus. Schon stand ihr die Angst, hintergangen worden zu sein, ins Gesicht geschrieben. Ich wollte sie nicht belügen, daher gestand ich, mich gestern Abend mit Lykon getroffen zu haben. Als sie den Namen hörte, fing sie an zu zittern.
«Wie kamst du nur darauf, Lykon wiederzusehen?», fragte sie mich mit einer Stimme, die zwischen Angst und Kälte schwankte. Ich richtete mich auf und fasste ihre zitternden Hände.
«Lykon kannte Kritias schon vor dem Mord», antwortete ich.
Aspasia blickt mich ungläubig an. Zuerst schien sie gar nicht zu verstehen, was ich gesagt hatte. Dann lösten sich ihre Züge, um sich gleich darauf wieder in Wut zu verhärten.
«Und er hat dich angegriffen?», fragte sie.
Ich nickte.
«Wie kamst du darauf, dass er Kritias schon kannte?»
«Es war die Art, wie sie miteinander umgingen», antwortete ich und beschrieb ihr die Blicke und Gesten, die ich schon am ersten Tag zwischen Lykon und Kritias wahrgenommen, aber erst jetzt zu deuten gewusst hatte.
«Hat er es zugegeben?», fragte sie.
«Ja, hat er», antwortete ich. «Er hat noch nicht einmal versucht, es zu leugnen …»
«Und weiß er etwas über den Mord?»
«Ich denke ja, aber er behauptet, Kritias habe mit Perianders Tod nichts zu tun.»
«Glaubst du ihm?»
«Nein! Nach dem, was ich gestern gehört habe, bin ich nur noch sicherer, dass Kritias Periander umgebracht hat. Stell dir vor, Lykon hat mich gewarnt! Er sagte, ich würde wie mein Vater enden, wenn ich nicht aufhörte, in dieser Geschichte zu wühlen.»
«Das hat er gesagt?», fragte Aspasia, und die Sorge um ihre Familie, die in dieser Frage mitschwang, verdrängte die letzten Reste ihrer Eifersucht augenblicklich.
«Ja, ich kann mich sogar noch an die Worte erinnern: ‹ Im Moment glauben alle, du hättest deine Lektion gelernt. Deswegen lassen sie dich in Ruhe.› Er weiß genau, wovon er spricht. Das war keine leere Drohung und keine bloße Ahnung.»
«Meinst du denn, Kritias hat etwas mit dem Angriff auf dich und deinen Vater zu tun?», fragte sie. Bisher waren wir eigentlich sicher gewesen, dass kein anderer als Anaxos hinter dem Anschlag steckte.
«Ich weiß es nicht. Ich bin sicher, dass ich den Soldaten mit der Narbe erkannt habe, und der war immer Anaxos’ Mann», antwortete ich zögernd.
«Und jetzt bist du nicht mehr sicher?»
Ich zuckte mit den Schultern. «Ich glaube, ich weiß gar nichts mehr …», stammelte ich, und

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