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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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für die Antwort, und mich überkam eine dunkle Ahnung.
«Es sind dreißig Männer», begann er langsam, «alle aus den reichsten Familien, wie du dir denken kannst. Ich konnte mir gar nicht alle Namen merken: Theramenes ist natürlich dabei … Das kannst du dir sicher denken. Auch einige andere Namen sind bekannt: Polychares, Melobios, Eratosthenes, Hippomarchos …» Xenophon zuckte mit den Schultern.
«Xenophon», sagte ich und sah ihm in die Augen, «auch Kritias?»
Er wich meinem Blick aus und blickte zu Boden. «Auch Kritias!»
Die Antwort traf mich wie ein Schlag. Obwohl ich fühlte, wie meine Beine zitterten, drehte ich mich um und rannte davon. Dabei wusste ich noch nicht einmal, wohin ich sollte, rechts, links, geradeaus, zurück. Es war mir einerlei. Ich wusste nur, dass ich mich bewegen musste … Ich musste etwas tun … Es war ein Albtraum. Warum nur bestraften mich die Götter so? Mein Feind war am Ziel seiner Wünsche!
«Lass mich gehen!», blaffte ich Xenophon an. Der arme Kerl war mir hinterhergelaufen und versuchte, mich zu beruhigen, aber ich machte mich los von ihm. Unentschlossen und taumelnd ging ich weiter. Die Leute auf dem Markt sahen mich an, als wäre ich betrunken. Es war mir gleich. Xenophon folgte mir noch ein paar Schritte, dann blieb er stehen und sah mir bestürzt nach. Ich konnte keinen Gedanken fassen. Erst als ich meinen Kopf in das kalte Wasser eines Brunnens gesteckt hatte, wurde mir klar, mit wem ich jetzt sprechen musste: Thrasybulos. Nur hatte ich ihn seit Monaten nicht gesehen. Ich wusste nicht einmal, ob er überhaupt noch am Leben war; ich musste ihn suchen.
    Thrasybulos’ Haus lag in der Nähe des Musenhügels, ein kleines und unscheinbares Backsteinhaus ohne Zierde und Pomp. Die Nacht war schon hereingebrochen, als ich es erreichte, und ich fand es in vollkommener Dunkelheit. Nicht der geringste Lichtschein drang durch die fest verschlossenen Läden, kein Laut war zu hören. Ich klopfte, so fest ich konnte, gegen die Pforte und rief immer wieder nach ihm. Nichts rührte sich, bis sich endlich ein Nachbar meiner erbarmte, aus dem Fenster des Nebenhauses herausschaute und mir sagte, mein Warten sei vergeblich, Thrasybulos’ Haus stehe seit Monaten leer.
    «Wo ist er denn hin?», fragte ich den Mann. Der schloss aber schon wieder die Läden und meinte nur noch, ich solle mich davonmachen.
    Thrasybulos, wo mochte er sein? Während der gesamten letzten Jahre, seit meiner vermaledeiten Suche nach Perianders Mörder, war er meine einzige Verbindung zu den Demokraten geblieben. Politischen Ehrgeiz hatte ich nie besessen und es deswegen auch nicht für nötig befunden, weitere Beziehungen zu dieser Partei zu unterhalten. Wen konnte ich jetzt ansprechen? Wer könnte zumindest wissen, wo Thrasybulos sich aufhielt?
    Endlich kam mir ein Gedanke. Ein Verbindungsglied zu den Demokraten hatte es stets gegeben, selbst zu Zeiten, als ich dies weder wusste noch wünschte. Dass er fast am anderen Ende der Stadt wohnte, sollte mich jetzt nicht aufhalten: Auf zu den Metöken, auf zu meinem alten Schreiber!
    Aus Mysons Haus drang Licht. Die schwache Flamme eines kleinen Öllämpchens schimmerte durch die halb geöffneten Fensterläden. Als ich hineinspähte, sah ich ihn an seinem großen Holztisch sitzen. Er kopierte mit den mir völlig vertrauten Gesten ein Buch.
    «Myson», flüsterte ich seinen Namen. Er stand sofort auf und öffnete die Tür. Freudig küssten wir uns auf die Wangen, aber ich erschrak, als ich sein dünnes Körperchen unter meinen Händen fühlte. Jede einzelne Rippe spürte ich unter seinem Gewand; beinahe erinnerte mich sein Leib an die tote Teka. Natürlich, als Metöke muss er unter der Hungersnot ganz besonders gelitten haben, zumal er zu alt war, um noch Waffen zu tragen. Ich fühlte einen Stich im Herzen und bereute bitter, mich in den Hungermonaten so gar nicht um ihn gekümmert zu haben.
    «Du bist dünn geworden», begrüßte ich ihn denn auch. «Wieso hast du dich nicht bei mir gemeldet? Ich hätte dir helfen können.»
    «Du hattest deine eigenen Sorgen», antwortete er verlegen und entzog sich meiner Umarmung wie ein schüchternes Mädchen, das nicht will, dass man seinen Körper ertastet. «Aber es geht schon wieder. Ich muss nur vorsichtig sein und meinen alten Magen schonen. Der Hunger hat ihm zugesetzt. Ich kann ihn erst nach und nach wieder an ausreichende Nahrung gewöhnen. Aber komm rein, Nikomachos, was führt dich zu mir?»
    «Hast du schon

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