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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Wimpernschlag lang trafen sich unsere Blicke. Seine Augen schienen schwarz unter der schweren Sturmhaube, funkelnd und entschlossen. Was aber mag er gesehen haben? Einen verrückten Athener und eine von Wahnsinn gezeichnete Frau? Dann entdeckte er mein Schwert an meiner Hüfte und zog blank. «Wir suchen unsere Kinder!», rief ich ihm zu und hob abwehrend die Arme. Im gleichen Augenblick schwirrte ein Pfeil durch die Luft. Er war ungeschickt geschossen, und der Spartaner hatte keine Mühe, ihn mit seinem Schild abzuwehren. Das Geschoss war hinter mir abgefeuert worden. Ich drehte mich um und entdeckte meine Söhne auf dem flachen Dach eines Ladens, wie sie mit zitternden Händen und bleichen Gesichtern schon den nächsten Pfeil auf die Sehne legten. «Hört auf!», kreischte Aspasia mit einer Stimme, die sich überschlug, bevor ich überhaupt etwas sagen konnte . Die beiden ließen den Bogen augenblicklich fallen. «Deine Söhne?», fragte mich der Spartiate. «Ja, bitte, es sind noch Kinder», stammelte ich. Der Hauptmann drehte sich wieder den Soldaten zu, die in Richtung Agora marschierten.
«Geh nach Hause!», kommandierte er über die Schulter hinweg. Dann beachtete er mich nicht mehr.
    Nach diesem Erlebnis waren wir sicher, dass die Spartaner uns tatsächlich verschonen würden, wie sie dies versprochen hatten, und so war es denn auch. Lysander soll zwar, nachdem die Stadt erobert war, eine Botschaft an die Ephoren geschickt haben, mit den Worten, Athen sei genommen, um sich zu vergewissern, dass er die Stadt nicht doch zerstören sollte. Die Antwort lautete aber nur: «Einnahme genügt.» So jedenfalls hat es mir Xenophon erzählt, nachdem er mit einem Offizier aus Lysanders Gefolge Freundschaft geschlossen hatte.
    Die Spartaner verschonten uns also. Gleichwohl entschieden Aspasia und ich uns dafür, die unverderblichen Lebensmittel vorläufig in unserem Kellerversteck zu lassen, und dort verbarg ich auch meine Waffen – eine kluge Entscheidung, wie sich noch zeigen sollte. Tatsächlich war die Gefahr für Athen und unser Leben nicht gebannt. Sie drohte nur von ganz anderer Seite: sie drohte von uns selbst.
    Die Athener merkten schnell, dass die Spartaner sie nicht versklaven würden, und so kehrte die Stadt ungeachtet der Besetzung durch feindliche Truppen mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit zu dem Leben zurück, das hier vor der Belagerung geführt worden war. Nur wenige Tage nach dem Einmarsch der Truppen öffneten die ersten Händler wieder ihre Läden, und es dauerte höchstens eine Woche, bis in Piräus wieder Handelsschiffe vor Anker gingen. Bald war die Stadt gut mit Hirse und Korn versorgt: Wir waren nun einmal geborene Händler.
    Die spartanischen Soldaten sahen dem Treiben auf den Märkten zunächst noch mit strenger und verächtlicher Miene zu. Jede Verbrüderung war ihnen verboten; und doch nahmen sie dann und wann, wenn ihre Hauptleute es gerade nicht sahen, die eine oder andere dargebotene Dattel aus der Hand eines freundlichen Kaufmanns an. Der Dattel folgte ein Becher Wein als Gastgeschenk, manchmal auch eine kleine Münze, und sehr schnell waren die Gesichter gar nicht mehr so streng. Den gefürchteten Hauptleuten ging es nicht anders. Nur wurden sie von weitaus verlockenderen und gefährlicheren Versuchungen umworben als ihre einfachen Soldaten, von den Söhnen und Töchtern Aphrodites, die Athen so zahlreich beherbergt. Nicht dass den Spartanern der Genuss der Geschlechtlichkeit unbekannt gewesen wäre. Allein, eher an grobe Kost und Blutsuppe denn an feine Verlockungen gewöhnt, ergaben sich die Krieger bereits den schlichteren Künsten unserer Schönen beinahe kampflos. Dazu machten sich unsere Schneider, Kunsthandwerker und Goldschmiede – allen voran Raios – ein ganz spezielles Vergnügen daraus, den hohen Offizieren ihre feinen Athener Waren vorzuführen und die Ares-Söhne so lange zu betören, bis sie für ein Fläschchen Parfüm oder einen Ohrring ihre Waffen einzutauschen bereit waren. Wer aufmerksam beobachtete, sah abends bald schon die ersten goldenen Spangen an den spartanischen Feldmänteln blinken, und für ein Stelldichein mit einem hübschen Knaben soll sogar Lysander seine Haare parfümiert haben – berichtete jedenfalls Xenophon, dem es wiederum sein spartanischer Freund erzählt haben soll. Kurzum: Athen war erobert, aber nicht besiegt. Weit davon entfernt, sich dem Joch der Spartaner zu unterwerfen, dauerte es nicht lange, bis aus unseren spartanischen

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