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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Ich wusste, mein Vater hätte bei mir sein sollen, aber er war nirgendwo zu sehen. Wir standen eng beieinander und warteten, bis die gesamte Prozession aus jungen Mädchen, Edelfrauen und Würdenträgern an uns vorbeigezogen war. Dann kamen die Wagenlenker. Schon von Weitem erkannte ich Lykon, der sich lüstern an Kritias schmiegte. Ich wollte meinen Blick von ihnen wenden, aber es gelang mir nicht. Als die beiden gerade an mir vorbeifuhren, streckte Lykon sich mir entgegen, als wollte er meine Hände fassen. Kaum hatte er mich berührt, sah ich nicht mehr ihn, ich sah Aspasia vor mir. Erschrocken ließ ich ihre Hände los, sie entschwand unerreichbar. Wie ein vergifteter Dolch bohrte sich mir etwas in die Seele. Ich versuchte Aspasia nachzulaufen, aber die Männer meines Demos hielten mich an Händen und Füßen fest, bis sie nicht mehr zu sehen war.
Es wurde Morgen, als sie mich weckte. Ein erster grauer Lichtstrahl fiel durch die Fensterläden. Wir lagen noch immer auf dem Fell. Das Feuer im Kamin war erloschen. Aspasia hatte eine Decke über uns gelegt, damit wir nicht froren. Sie reichte mir eine Schale Milch und wartete, bis ich in Ruhe ausgetrunken hatte. Erst dann begann sie zu sprechen.
«Ich habe Angst um die Kinder», sagte sie. «Ich glaube, wir sollten nicht in Athen bleiben. Wir sind in Gefahr.»
Ich legte mich zurück und sah an die Decke. Das goldene Licht der Herdflammen war erloschen. Der Raum war grau und traurig wie der frühe Morgen.
«Du willst wirklich weg?», fragte ich.
«Ja, wir müssen, ich bin mir sicher.»
Sie strich mir durchs Haar. Ich wusste, sie hatte recht. Es gab keinen Zweifel. Die Kinder waren in Gefahr. Wir mussten sie schützen.
«Ich werde euch zu Chilon nach Piräus bringen», sagte ich.
«Und du?», fragte sie leise.
Ich antwortete nicht.
Am nächsten Abend, kurz nach Sonnenuntergang, brachen wir auf. Aspasia hatte den Tag mit Packen zugebracht, während ich versucht hatte, einige Erkundigungen einzuziehen. Ich konnte nicht glauben, dass die Athener ihre Stadt Kritias und einer Handvoll Aristokraten ohne Gegenwehr überlassen würden, die Stadt, die sie selbst errichtet, geführt und gelenkt hatten. Aber so geschah es; tatsächlich scherte sich einfach niemand darum. Die Menschen waren froh, den Krieg und die Belagerung heil überstanden zu haben. Jetzt bauten sie ihre Geschäfte wieder auf und sahen zu, wie sie ihre Familien satt bekamen. Wer Athen nun regierte, das kümmerte sie nicht.
«Was soll schon passieren?», sagte Raios in seiner Goldschmiede, den ich an jenem Tag zuletzt besuchte. «Du siehst schwarz. Lass sie sich ein bisschen austoben! Bevor die Dreißig etwas anrichten können, schicken die Athener sie längst wieder zum Teufel! Die Menschen hier haben einen Perikles dreimal angeklagt und einen Alkibiades davongejagt, was will ein Kritias da ausrichten? Lass uns mit den Spartanern unsere Geschäfte machen und kümmere dich nicht um diesen Haufen Trottel!»
Und so wie Raios dachten die meisten.
Ich war wieder auf dem Weg nach Hause und überlegte, ob die Entscheidung für Piräus nicht übereilt war, als mir ein Trupp Toxotai entgegenkam. Es waren sechs Soldaten in voller Montur, gerüstet mit Bogen und Weidenruten. Ich kannte die meisten noch aus meiner Zeit als Hauptmann.
«Na, wohin geht es denn?», rief ich ihnen zu, als sie meinen Weg kreuzten.
«Ah, der alte Hauptmann!», antwortete der Anführer des Trupps, und auch die anderen murmelten eine Begrüßung. «Wir sind auf dem Weg zur Kaserne. Es gibt einen neuen Kommandanten, der uns sehen will!»
«Einen neuen Hauptmann?», fragte ich erstaunt und beeilte mich, mit der Patrouille mitzulaufen. «Es wurde doch noch gar kein neuer Hauptmann gewählt! Was ist denn mit dem alten geschehen?»
Der Soldat hob die Arme. «Davon weiß ich nichts», erwiderte er. «Sie haben uns nur gesagt, wir hätten einen neuen Kommandanten. Er will uns sehen. Er soll gestern eingesetzt worden sein.»
«Und wie heißt er?», fragte ich entgeistert.
«Keine Ahnung», antwortete der Truppenführer und sah verlegen an mir vorbei. Es kam ihm seltsam vor, dass ich einfach mit ihm mitmarschierte. «Aber ein paar Kameraden kennen ihn. Es soll ein erfahrener Soldat sein … He, Aritos!», rief er einem der jüngeren Bogenschützen hinter sich zu. «Du hast den neuen Hauptmann doch schon gesehen, oder?»
«Ja, gestern Abend. Aber nur kurz», tönte es aus der letzten Reihe.
«Wie heißt er?», rief der Anführer.
«Ich habe den Namen nicht

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