Mord im Garten des Sokrates
die.»
Und dann entdeckte ich ihn. Er hatte sich wenig verändert in den letzten Jahren. Vielleicht war er ein wenig kräftiger geworden. Sein Kaftan spannte ein wenig um Hüfte und Bauch, aber sonst war er ganz der Alte geblieben: schwarzes, krauses Haar und Bart, die das Gesicht einrahmten, eine kleine Nase. Sogar von hier oben erkannte man das feinsinnige und doppelbödige Lächeln, das um seine Lippen spielte. Er war zurückgekehrt, ganz wie er es vorausgesehen hatte. Was hatte er damals gesagt? Dass ich mich über das Wiedersehen nicht freuen würde.
«Was hat das alles zu bedeuten?», fragte Aspasia.
Ich antwortete nicht, obwohl ich zu ahnen begann, welche Geschäfte die Perser nach Athen zurückgeführt haben mochten. Vor mir tat sich ein Abgrund auf.
Schnell warf ich mein Gewand über und eilte zum Hafen, der gerade erst erwachte. Die Fischhändler bestückten singend ihre Buden mit dem Fang der Nacht. Ein paar Packsklaven machten sich müde auf den Weg zu den Docks und rieben sich den Schlaf aus den Augen. Es war noch kühl. Noch fehlte der Sonne die Kraft des Nachmittags und des Sommers.
«Was willst du, geh weiter!», herrschte mich ein spartanischer Soldat an, der vor dem Rah-Segler Wache schob. Er war kleiner als seine Kameraden und deswegen besonders laut.
«Nichts, gar nichts, Herr Hauptmann», antwortete ich katzbuckelnd. «Ich wollte mir nur einmal dieses prächtige Handelschiff ansehen. Schiffe bauen können die Perser ja, nicht wahr? Große Schiffe, gewaltige Schiffe.»
«Hier gibt’s nichts zu sehen, geh weiter!», kommandierte der Soldat. Er zeigte sich von meiner unterwürfigen Haltung wenig geschmeichelt und drohte mit dem schweren Eibenspeer, den er in der Hand hielt.
«Aber Herr Hauptmann, wer wird denn gleich so streng sein?», versuchte ich es erneut und lächelte dümmlich. «Ich wollte mir doch nur das Boot an …» Ich hatte noch nicht ausgesprochen, da fühlte ich schon seine Speerspitze unter meinem Kinn. Zwei weitere Soldaten kamen bedrohlich näher.
«Schon gut, schon gut, ich gehe ja!», sagte ich und sah zu, dass ich so schnell wie möglich ein bisschen Abstand zwischen meinen Hals und diese blinkende Speerspitze bekam. Mit dem kleinen Kerl war nicht zu spaßen, das stand nun fest.
Ich hatte mich schon damit abgefunden, unverrichteter Dinge gehen zu müssen, als plötzlich eine wohlbekannte Stimme vom Schiff her ertönte.
«Na, wen haben wir denn da? Wenn das nicht der einzige unbestechliche Athener ist, den ich je getroffen habe!», rief er zur Erheiterung der spartanischen Soldaten von der Reling herunter – wer weiß, wie lange er schon da oben gestanden und dem Treiben zugesehen hatte.
«Lasst ihn nur durch», bat er die Spartaner und tippte sich an die Stirn, um ihnen zu zeigen, dass ich ein wenig verrückt war. «Ich kenne ihn. Er ist ganz harmlos. Ein Niemand.»
Der kleine Soldat zögerte und nahm mich noch einmal ins Visier. Seine Augenschlitze verengten sich unter der Sturmhaube. Dann lachte er los, so als hätte er endlich erkannt, was für ein Trottel ich doch war. Er senkte den Speer und drehte seinen Kopf zum Schiff.
«Achtung, Perser! Da kommt einer, den es gar nicht gibt: ein unbestechlicher Athener!», rief er, so laut er nur konnte. «Niemand kommt jetzt rauf!» Er ließ mich passieren, und ich ging an Bord – unter dem Gelächter der spartanischen Soldaten.
Der persische Kapitän lachte lauthals mit und schlug mir gönnerhaft auf die Schulter, als ich über die Planke nach oben gewankt war.
«Niemand ist jetzt an Bord!», rief er den Wachen zu. Die hielten sich die Bäuche vor Lachen über diesen schalen, alten Scherz. Dann murmelte er halblaut: «Geh in die Kajüte …» und stieß mich, für alle sichtbar, grob an.
Die Schiffskabine war immer noch dieselbe: der Schrank mit zahlreichen Pergamentrollen, der Tisch, die Öllampe, die von der Decke hing und mit den Wellen schwankte.
«Hier, mein Freund, setz dich», sagte der Kapitän und räumte die Karten vom Tisch. «Bitte entschuldige, dass ich mich über dich lustig gemacht habe. Die Spartaner hätten dich sonst nicht an Bord gelassen …»
«Du hättest sie bestechen können!», scherzte ich.
«Das haben wir schon vor der Landung erledigt», schmunzelte der Kapitän, als wäre es eine Frage der Ehre für ihn, alles und jeden zu bestechen. Dann wurde sein Gesicht ernster, und er verneigte sich. «Ich freue mich, dich wiederzusehen», sagte er würdevoll, «wenn ich die Umstände auch bedaure.» Seine Stimme
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