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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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einen Trunkenbold, einen Strolch und Tagedieb nennt, dann hat er damit recht. Ich muss es bekennen. Wolltet ihr mich deswegen verurteilen, dann müsste euer Stimmstein gegen mich fallen und mein Leben wäre verwirkt. Ich könnte mich weder dem Urteil noch dem Tod widersetzen, wenn diese als Strafe für ein vergeudetes Leben dienten. Denn der Vergeudung meines Lebens bin ich schuldig, das ist gewiss.
    Wenn ich es gleichwohl wage, heute vor euch zu meiner Verteidigung zu sprechen, dann deswegen, weil es nicht um mich, sondern nur um die Wahrheit geht und ich nicht immer nur der war, den mein Ankläger Kritias euch so eindrucksvoll und wahrhaftig beschrieben hat.
Seht her, diesen Stumpf, wo einst ein gesundes Bein war … Ich habe es in Pylos gelassen. Ein spartanischer Speer nahm es mir. Ich will darüber nicht klagen.
Wisst ihr noch, wie wir damals Sparta geschlagen haben zum Ruhme unserer glorreichen Stadt? Die unbesiegbaren Spartiaten? Ich sehe in euren Augen, ihr wisst es. Ich war dabei, ich war euer Waffenbruder … Und als euer Waffenbruder will ich hier sprechen, als ein Soldat und guter Bürger der Stadt.
    Lysias legte eine Pause ein und setzte sich, als habe er Schmerzen, starke Schmerzen, die er mannhaft unterdrückte. Er biss sich auf die Unterlippe, Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.
    Als Soldat also will ich zu euch sprechen, als der Soldat, der ich einst war. Hört zu und urteilt. Es geht ohnehin nicht um mich. Es ist etwas Schreckliches geschehen in unserer Stadt. Da wurde ein Jüngling ermordet, ein junger Mann, wie er klüger und schöner in Hellas niemals geboren wurde. Ein Dichter, wie man hört; ein Olympiasieger, wie jeder weiß: Stolz seines Vaters, Trost seiner Mutter, Hoffnung unserer Stadt. Ich wage kaum, seinen Namen auszusprechen, um den Schmerz der Eltern nicht zu vertiefen, und muss es doch: Periander!
Er wurde ermordet, ohne Zweifel, im Dunkeln einer finsteren und mondlosen Nacht, aber dunkel, ihr Richter, war nicht nur die Nacht, dunkel sind auch die Geschehnisse, die sie verbirgt, und im Dunkeln verbirgt sich der feige Täter mit seinen Gründen.
Erschlagen worden sei er, sagte uns der Ankläger, erschlagen aus Habgier um einen Ring, den das arme Opfer trug, einen Ring, den man später bei mir fand. Er war das Siegeszeichen für seinen Triumph in Olympia. Es ist wahr, ich habe den Ring gefunden. Aber habe ich Periander deswegen auch getötet?
Überlegt gut, meine Richter, überlegt gut. Das Opfer war jung, stark und schnell wie kein Zweiter, ein Olympiasieger. Und ich, Krüppel, der ich bin, hätte ihn einholen und erschlagen sollen? Ihm auflauern in einer Nacht, in der man nichts sieht, aber alles hört? Mich anschleichen mit meinem verkrüppelten Bein?
Lysias erhob sich und lachte bitter. Dann schritt er einbeinig
    und schwer auftretend durch den Raum. Er musste ein Stück Holz unter die Sohle seines rechten Schuhs genagelt haben, denn bei jedem Tritt auf den Marmorboden ertönte ein stumpfer Laut, der nicht bei Tag und schon gar nicht bei Nacht zu überhören war. Lysias blickte mich mit finsterem und tödlich ernstem Gesicht an, als wäre ich seinen Richter. Ich verstand. Er nickte und fuhr fort:
    Ich weiß es besser. Dieser edle Spross einer vornehmen Familie wurde nicht erschlagen, er wurde erstickt. Ja, ihr habt recht gehört: erstickt. Ich würde nicht wagen, es zu behaupten, wenn ich es nicht wüsste und nicht auch beweisen könnte. Beweisen!
Komm her, mein Zeuge!
    Lysias streckte seinen Körper und deutete mit beiden Händen auf mich. Mir steckte ein Kloß im Hals. Augenscheinlich sollte ich aufstehen und zu Lysias treten. Ich erhob mich mit zittrigen Knien und ließ mich von ihm an seine Seite ziehen. «Jetzt kommt dein Auftritt, mein lieber Nikomachos», sagte
    Lysias, wieder ganz er selbst. Er schwitzte vor Anstrengung. «Du berichtest einfach nur, was du weißt. So wie du es mir neulich erzählt hast. Du begrüßt die Richter und stellst dich vor. Nikomachos, Sohn des … derzeitiger Hauptmann der Bogenschützen usw. Hier, ich habe auch für dich etwas vorbereitet.»
    Lysias ging zu seinem Arbeitstisch und kam mit einer weiteren Schriftrolle zurück. Es wunderte mich wenig, die folgende Überschrift zu finden.
    Des Nikomachos Zeugenbericht

«Warte», sagte Lysias, während er mich wieder zu meinem
    Sessel brachte und sanft zum Sitzen nötigte, «ich will es dir zeigen.»
    Lysias baute sich breit vor mir auf. Soldatisch warf er sich in die Brust, soldatisch und

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