Mord im Garten des Sokrates
wünschte mir Glück. Seine Augen jedoch blieben betrübt. Er glaubte nicht an einen Erfolg.
Wir waren gerade vor die Tür getreten, als Bias, der kleine Gefängniswärter, über den Kasernenhof zu uns gerannt kam. Er war völlig außer Atem und drohte wie der Läufer von Marathon zusammenzubrechen, aber noch bevor er seine Nachricht überbracht hatte. Einer meiner Soldaten nahm ihn hoch und trug ihn wie ein Kind in die Vorhalle. Bias musste sich erst beruhigen, bevor er auch nur ein Wort herausbekam. Myson brachte ihm Wasser. Der kleine Wärter trank und japste nach Luft. Langsam wurden meine Männer ungeduldig. Es dauerte ihnen zu lange, bis Bias sich erholt hatte.
«Komm schon, Bias», sagte der große Kerl, der ihn hereingetragen hatte, «reiß dich zusammen. Was ist los?»
Ich stellte mich abseits und blieb völlig ruhig. Ich ahnte ohnehin, was vorgefallen war. Am liebsten hätte ich gar nicht zugehört.
Was Bias berichtete, ist schnell gesagt. Es entsetzte mich, aber es überraschte mich nicht. Kurz nach Sonnenaufgang war Anaxos mit vier Soldaten am Gefängnis erschienen. Sie hämmerten gegen das Tor und drohten, Bias und seine Frau zu erschlagen, wenn sie nicht freiwillig öffneten. Bias wollte sie noch aufhalten, aber seine Frau hatte viel zu viel Angst und schob den Riegel zur Seite. In demselben Moment warf sich von außen auch schon ein Soldat gegen die Tür. Die schlug mit der ganzen Wucht dieses schweren Menschen auf und traf seine geliebte Gattin am Kopf. Die Frau taumelte, fasste sich an die Stirn, dann sank sie zu Boden, während Anaxos und die Soldaten ungerührt an ihr vorbeimarschierten. Bias kümmerte sich sofort um sie. Ein Faden Blut rann ihr aus der Nase, und ihr Herz schlug ganz schwach. Wie von fern habe er den Puls nur gehört, als er sein Ohr auf ihre Brust legte. Gerade in dem Moment sei zum Glück der junge Arzt Chilon erschienen. Er hatte an sich nach Lysippos sehen wollen, half Bias aber sofort, seine verletzte Frau in das Wärterhäuschen neben dem Tor zu tragen. Dort legte sie Chilon auf ihr Bett, untersuchte sie und gab ihr eine Arznei zu riechen, die sie wieder ins Leben zurückbrachte, wenn sie auch schwach blieb und für einige Tage das Bett würde hüten müssen.
«Und Lysippos?», fragte Myson.
«Als meine Frau versorgt war, bin ich sofort zur Zelle gerannt», antwortete Bias. «Da sind mir die Soldaten schon wieder entgegengekommen. Sie hatten Lysippos in Ketten gelegt und zogen ihn durch den Schmutz hinter sich her. Anaxos rief mir noch zu, ich solle ausrichten, dass sie den Mörder nun zu Gericht bringen.»
«Unverschämter Kerl!», sagte Myson und spuckte aus.
«Hat er sonst noch etwas gesagt?», fragte ich von der Ecke her, in die ich mich zurückgezogen hatte.
«Er sagte, er warte am Areopag auf dich», antwortete Bias. «Dann haben sie Lysippos auf die Straße gezogen. Ich bin sofort hierher gerannt. Die Leute haben mit faulem Gemüse nach mir geworfen!»
Nachdem Bias seine Geschichte beendet hatte, blieben alle für einen Moment still. Meine Männer sahen mich ratlos an. Myson senkte den Kopf.
«Zum Areopag!», befahl ich, und wir rannten los. Es war müßig, darüber nachzudenken, ob ich Lysippos hätte besser schützen können oder müssen. Es blieb jetzt nur noch der Prozess zu führen. Das war die einzige Chance für Lysippos und für die Wahrheit.
Wir nahmen den Dromos im Laufschritt. Der steile Weg zur Akropolis hielt uns nicht auf. Unsere Waffen und Rüstungen klirrten mit jedem Schritt. Auf dem Platz zwischen Strategion und Areopag stand die Menge schon in Trauben. Wir hatten Mühe, uns den Weg in das Gerichtsgebäude zu bahnen, so drängten sich die Schaulustigen zusammen, nur um einen kurzen Blick auf Lysippos zu werfen. Wir stießen, schoben und rempelten uns zum Eingang vor. Dort öffneten uns zwei postierte Bogenschützen. Wir traten ein, und hinter uns schlossen sich die Tore.
Das Gebäude, in das wir hier traten, barg einen einzigen großen, marmornen Saal, in welchem der Gerichtshof des Areopag tagte. Als wir in den Raum traten, bogen sich schon die Bänke unter der Masse der Zuschauer, die lärmten und schwatzten. Ich sah mich um und erkannte Perianders Vater in der Menge. Der Schmerz gab seinem Gesicht eine bittere Würde; still und regungslos saß er auf seinem Platz und blieb ganz unberührt von dem Tumult, der um ihn war. Es gab wohl keine reiche Athener Familie, die nicht irgendwie vertreten war. Dutzende hasserfüllter Augen waren auf Lysippos
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