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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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und sprach sich überall schnell herum. Auf der Agora wurden Wetten auf Lysippos’ Kopf geschlossen, und die meisten setzten auf seinen Tod. Ich besuchte Lysippos jeden Tag, sah nach ihm und hörte ihn ab. Er lernte mit trotziger Verzweiflung. Auch Chilon kam regelmäßig zu seinem Patienten. Er war erstaunt, wie schnell Lysippos’ Wunden heilten. Dieser ausgemergelte Hund besaß einen geradezu unerhörten Lebenswillen und sein dürrer Körper eine ungeahnte Kraft und Zähigkeit. Mehr noch als Chilon und ich kümmerte sich aber Lysippos’ Tochter um ihn. Ich begegnete ihr immer wieder. Sie war eine kleine, robuste Frau mit groben Zügen, deren grell geschminktes Gesicht und abschätziger Blick kaum Zweifel an ihrem Beruf aufkommen ließen. Aber sie war beinahe jeden Morgen und jeden Abend in der Zelle, brachte ihrem Vater zu essen und zu trinken, wusch ihn, reinigte seine Wunden und wechselte die Verbände. Dabei war sie immer in Begleitung ihres kleinen Söhnchens, eines stillen und schwachen Kindes, das sich fest an die Mutter klammerte und sein Gesicht in ihrem Busen verbarg, sobald sich ein Fremder näherte. So schwach es war, das Kind hatte eine besondere Gabe: Es liebte seinen Großvater. Lysippos habe ich einzig ihm und seiner Tochter gegenüber freundlich und offen erlebt. Für Chilon und mich blieb er, ungeachtet der Sorge, die wir um ihn trugen, unzugänglich, und wenn er seinen hässlichen Mund doch hin und wieder zu einem Lächeln verzog, war es heuchlerisch, und die Augen lachten nicht mit. Kurze Zeit später versuchte er dann meist, irgendein Privileg für sich zu erschmeicheln.
    Anaxos und seine Gehilfen blieben dem Gefängnis fern. Lysippos hatte die Tat unter der Folter gestanden und irgendein Schriftstück unterzeichnet. Anaxos war sich seiner Sache entsprechend sicher.
    Myson und ich gingen uns aus dem Weg. Wenn ich ihn traf oder ansprechen musste, vermied er es, mir in die Augen zu sehen. Auch erholte er sich, wie es schien, von Lysippos’ Angriff weniger leicht als Lysippos von der Folter. Er ging gebeugt, sein Gesicht blieb bleich, und seine schöne, kräftige Handschrift hatte leicht, aber doch merklich zu zittern begonnen.
    Platon blieb krank. Immer wieder sprach ich vor, immer wieder bat mich sein alter Sklave, den jungen Herrn zu schonen.
Aspasia und ich waren uns sehr nahe in dieser Zeit. Abend für Abend saßen wir im Garten unter dem Feigenbaum, tranken Wein und Wasser, aßen Oliven und sprachen über unsere Tage, die Kinder, den Ärger mit den Nachbarn, die Arbeit. Nur über Perianders Tod oder Lysippos’ Prozess verloren wir kein einziges Wort, so als könnten wir die Ereignisse auf diese Art aus unserem Garten, unserem Haus und unserem Leben heraushalten.
Die Bürgerversammlung auf der Pnyx war für die Toxotai ein voller Erfolg. Nachdem sein Gewand bei der Auszahlung des Sitzungsgeldes markiert worden war, wagte es kaum mehr ein Bürger, der Versammlung fernzubleiben. Die Männer drängten sich auf dem Hügel, und es wurde die Forderung laut, doch ein steinernes Amphitheater zu bauen, groß genug, um alle stimmberechtigten Vollbürger aufzunehmen.
Die Hitze blieb. Es fiel kein Tropfen Regen. Athen stöhnte unter der Bürde des Sommers.
Dann kam der Tag des Prozesses, und er begann schlecht. Ich erwachte aus einem unruhigen Schlaf. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Vor mir stand ein Netz aus glitzernden Perlen, das in der Dunkelheit allmählich verblasste. Aspasia neben mir atmete schwer. Ich erhob mich vorsichtig, um sie nicht zu wecken, aber noch bevor ich mich richtig aufgerichtet hatte, strich sie mir zart über den Rücken. Sie war wach und betrachtete mich mit ihren dunklen Augen.
«Hast du Angst?», fragte sie mich leise. Ich nickte.
Ich bat Aspasia weiterzuschlafen, aber sie stand mit mir auf und richtete mir ein kleines Frühstück. Ich brachte keinen Bissen herunter. Ich saß stumm am Küchentisch und wartete, bis die Sonne aufging und die Stadt erwachte. Als die ersten Händler durch die Straßen zogen und ihre Waren anpriesen, bereitete ich mich vor. Ich zog meine Rüstung an, um mein Amt vor den Richtern zu unterstreichen, ging meine Aussage noch einmal durch und machte mich endlich auf den Weg zur Kaserne. Schon am Vortag hatte ich die vier Soldaten ausgesucht, die mich begleiten sollten, wenn ich Lysippos vom Gefängnis zum Areopag brachte. Sie erwarteten mich in der Vorhalle. Zu meinem Erstaunen war Myson bei ihnen. Als ich ankam, trat er auf mich zu und

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