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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Xenophon und auch mich mit einem schmeichlerischen Lächeln an, Aristippos aber zwinkerte sie vielsagend zu.
    «Wie kann man sich nur Philosoph nennen und gleichzeitig so dem Fleisch ergeben sein!», murrte Xenophon mit einem Seitenblick auf ihn, als die drei Frauen an uns vorüber gegangen waren. Aristippos’ Lebenslust stand seinem soldatischen Herz fern, und er ließ keine Gelegenheit aus, dies auch zu zeigen. Wobei – ganz aus Marmor war auch Xenophon nicht, gab es da doch einen Jungen mit Namen Kleinas, der das Herz des Soldaten höherschlagen ließ …
    «Aber mein lieber Xenophon», entgegnete Aristippos mit gekünstelter Empörung, «ich ergebe mich doch nicht dem Fleisch! Ich verstehe gar nicht, wie du mir dergleichen vorwerfen kannst. Bei mir ist es umgekehrt: Es ist das Fleisch, das sich mir ergibt!» Aristippos hatte die Lacher auf seiner Seite – nicht zum ersten Mal, wie ich erwähnen muss –, und Xenophon schwieg beleidigt.
    Alles schien mild und friedlich. Eine warme Abendbrise umgab uns wie ein seidenes Laken, der Duft von Oleander und Thymian würzte die Luft. Und doch änderte sich mit einem Mal die Stimmung. Ich fühlte eine merkwürdige Unruhe um mich herum. Ein Raunen ging über die Agora, beinahe greifbar setzte es sich vom einen zum anderen fort, so wie ein Feuer sich ausbreitet und sich von einem Haus dem nächsten mitteilt. Ich sah, wie sich die Gesichter der Menschen um uns veränderten. Passanten, die gerade noch ausgelassen gescherzt hatten, blieben stehen, sprachen, fragten, hörten etwas, schüttelten ungläubig den Kopf, fragten wieder, diesmal mit ernsterem Gesicht, weiteten die Augen und schlugen die Hände vor den Mund. Auch die Bewegungen der Menschen veränderten sich: Waren sie eben noch fließend und frei, brachen sie von einem Moment auf den anderen ab. Die Flaneure hielten inne und formierten sich zu aufgeregten Gruppen. Die Leute blieben beunruhigt stehen und fragten sich, was hier vorging. Irgendeine schreckliche Neuigkeit verbreitete sich und sprang wie ein Funke vom einen auf den anderen über. Xenophon, der dem Gespräch zwischen Sokrates und Aristippos seit dessen geistreicher Parade nicht mehr gefolgt war, bemerkte es ebenso wie ich und sah mich fragend an. Ohne uns abzusprechen, verließen wir die anderen, um uns zu der nächsten Gruppe zu stellen. Sokrates und Aristippos sahen uns erstaunt nach, aber auch in ihren Gesichtern stand zu lesen, dass sie die Unruhe des Marktplatzes fühlten.
    Ich drückte mich in einen Menschenknäuel.
«Was, was ist passiert, sag das noch mal!», schrie jemand neben mir einem armen Kerl in der Mitte zu, der versuchte, sich die Menge vom Leib zu halten.
«Die Paralos», rief er zurück, «die Paralos ist allein zurückgekehrt! Es heißt, die Flotte ist zerstört!»
«Unsere Flotte?», schrie mein Nachbar.
«Unsere gesamte Flotte!», bekam er zur Antwort.
Nun schüttelte auch ich ungläubig den Kopf. Die Athener Flotte? Wer hätte eine Streitmacht, die gesamte Athener Flotte aufzureiben? Das war ausgeschlossen. Athen war die Herrin der Ägäis, unsere Schiffe hatten die persischen Galeeren bezwungen. Und doch: Während sich mein Verstand noch widersetzte, fühlte mein Herz doch schon die Wahrheit.
Mühselig löste ich mich aus der Menschentraube und rannten zu Sokrates und Aristippos zurück, die mich sofort fragten, was geschehen sei. War Aristippos erst einmal nur der Schalk aus den Augen gewichen, so war Sokrates’ Ausdruck geradezu finster. Ganz deutlich fühlte er die Erschütterung um uns herum. Ich erkannte es an seinen von Furcht geweiteten Augen.
«Sag schon, was ist geschehen?», wiederholte er mit leichenblasser Miene.
«Ich weiß es nicht! Sie sagen, die Athener Flotte sei zerstört. Die gesamte Athener Flotte! Nur die Paralos ist zurückgekehrt», stammelte ich.
«Nur die Paralos?», sagte er wie zu sich selbst und schloss die Augen. «Das ist eine Katastrophe!»
«Glaubst du, es ist wahr?», fragte Aristippos unseren Lehrer, unsicher, wie ich ihn noch nie gesehen hatte.
«Gewiss», antwortete Sokrates dunkel.
«Habt ihr schon gehört?», rief Xenophon, der gerade atemlos zurückkam. Er sah Sokrates’ Gesicht und verstummte.
«Wir müssen es genauer wissen», hörte ich mich selbst sagen. «Aber wie?», fragte Sokrates. Da fiel mir etwas ein, das lange in mir geruht hatte. «Lysias’ Bruder! Ich weiß nicht mehr, wie er heißt. Aber er war auf der Paralos – zumindest vor vier Jahren. Vielleicht weiß er

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