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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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seiner Abkömmlinge.
    Der Wind wurde heftiger und brachte Wolken mit: graue, schwarze, dichte Wolken, die die Sonne verdunkelten. Die Luft war so feucht, dass einem die Kleider an der Haut klebten. Schweißperlen standen mir auf der Stirn, und zugleich fror ich. Wie wir über die Agora gingen, schlossen die Händler ihre Läden aus Angst vor dem nahenden Unwetter. Wie Segel blähten sich die Stoffdächer über den Verkaufsbuden und zerrten an ihren Leinen. Wo der Wind die Haken aus dem Boden gerissen hatte, flatterten und tanzten sie wie Fahnen im Sturm.
    Plötzlich und unvermittelt – den Flügelschlag einer Taube lang – schien die Natur innezuhalten. Es wurde still. Die Fahnen senkten und beruhigten, der Staub legte sich. Da zerriss ein Blitz die Wolken, und ein Donnerschlag folgte mit ohrenbetäubender Wucht. Ein Schwirren wie von tausend Flügeln in der Luft, und Hagelkörner, groß wie Taubeneier, prasselten auf uns nieder. Um den gefährlichen Geschossen zu entgehen, packte ich meinen Vater am Arm und zog ihn zur nächsten Stoa, wo wir uns gerade noch unterstellen konnten. Mochten die anderen die Göttin feiern und das Blut der Opfertiere vergießen, wir waren erst einmal sicher! Und wir waren nicht die Einzigen, die so dachten. Mit uns floh halb Athen unter den Schutz der Dächer. Dicht an dicht drängten wir uns in der Säulenhalle, während draußen die Hagelkörner dicken Regentropfen wichen und ein Gewitter tobte, wie ich es bis dahin noch nie erlebt hatte und seitdem nicht wieder. Blitze zuckten wie Schwerter in der Schlacht, der Donner grollte, als bräche ein Wald von Bäumen. Der Wind trieb Regen in die Stoa hinein, wie die Gischt des Meeres bei Sturm schlug er uns ins Gesicht. Verängstigt von diesem Wetter und der dunklen Verheißung, die es barg, standen wir Athener zusammen unter unseren dünnen Dächern und hofften, nicht erschlagen zu werden von Blitz und Donner und von dem Unglück, das dieses Unwetter nur ankündigen konnte. Wenn die Zeustochter selbst am Tag ihres höchsten Festes ein solches Gewitter zuließ, musste die Stadt in Ungnade gefallen sein. Wir fühlten und wir wussten es, verstanden aber nicht, warum. Niemand sprach, kleinmütig duckten sich die Menschen unter das Joch des angekündigten Geschicks.
    Der Wind tobte durch die Straßen, in den Gassen schwollen die Rinnsale zu Bächen an. Und da, gerade als wir glaubten, Zeus wolle die Stadt ertränken, rissen die Wolken über unseren Köpfen auf, und ein paar Sonnenstrahlen fielen hindurch. Der Spalt wurde größer und breiter; schon sahen wir die ganze Sonne hinter den Wolken hervorleuchten. Zugleich ließ der Regen nach. Nur wenige dicke Tropfen fielen noch und zerplatzten in den Pfützen. Der Wind legte sich. Das Gewitter war vorüber.
    Zuerst wagten es nur einige junge Männer, den Schutz der Dächer zu verlassen. Die Sandalen über die Schultern geworfen, schritten sie mit bloßen Füßen voran, schlitterten über den Matsch und tappten durch die Pfützen. Wir Älteren folgten, erst zögernd, dann sicherer. Schon hörte man fröhliches Rufen und Jauchzen. Janos, mein Nachbar, rutschte aus und fiel in den Schlamm, aber er lachte und wir mit ihm, als wäre es der größte Spaß, sich wie ein Schwein im Dreck zu suhlen. Von irgendwo kam eine Handvoll Matsch angeflogen. Ich duckte mich, bekam meine Portion aber trotzdem mitten ins Gesicht. Natürlich ließ ich mich nicht lumpen und warf zurück, was ich mit Händen aufnehmen konnte. Jetzt kam eine Ladung von vorne und traf meinen Vater, der sich räusperte und sofort mitmischte, so wie die anderen auch. Und so verwandelte sich die ganze Prozession innerhalb kürzester Zeit in eine einzige Schlammschlacht. Die Menschen waren befreit und so erleichtert, noch einmal davongekommen zu sein, dass noch der würdigste Alte wie ein Bub Dreckbälle formte und fröhlich verschoss. Die Frauen kreischten, während sie in den Matsch fielen. Ein paar Kleider rutschten nach oben. Weiße Schenkel blitzen im Schlamm; Jünglinge warfen sich dazu. Man grölte und lachte und tanzte und küsste sich in einem Bacchanal von Matsch und Lehm. Dann ertönte das Horn, ein- oder zwei- oder dreimal. Die Priester kletterten auf die Mauern, mahnten empört zur Ruhe und befahlen, uns wieder zu formieren und den Weg zur Akropolis fortzusetzen, wollten wir nicht noch größeren Zorn der Götter auf uns laden. Feixend stellen wir uns in Reih und Glied und gingen schließlich weiter, ein würdig dreinblickender

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